Unzulässige Umgehung der Rechtsprechung des BFH über die sachliche Unzuständigkeit für das Erhebungsverfahren in Kindergeldsachen

Der 3. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat mit Gerichtsbescheid entschieden, dass die Verwaltungsakte im Erhebungsverfahren in Kindergeldsachen der sachlich unzuständigen Agentur für Arbeit Recklinghausen – Familienkasse Inkasso – auch dann rechtswidrig sind, wenn sie von dieser unter dem Briefkopf der zuständigen Familienkasse erlassen werden.

Hintergrund

Schon seit mehreren Jahren wird im Verfahren über die Erhebung von Kindergeld, also insbesondere bei Entscheidungen über dessen Stundung und Erlass, der zentral bei der Agentur für Arbeit Recklinghausen eingerichtete sog. Inkassoservice tätig. Der Bundesfinanzhof hat jedoch inzwischen in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung entschieden, dass diese Behörde mangels entsprechender gesetzlicher Regelung hierfür sachlich unzuständig ist (siehe z. B. BFH, Urteile vom 25. Februar 2021 – III R 36/19 und vom 7. April 2022 – III R 33/20). Dennoch scheint dieser „Inkassoservice“ – wie der 3. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts jetzt herausgefunden hat – auch nach Ergehen dieser Entscheidungen weiterhin tätig zu werden. Allerdings nicht im eigenen Namen, sondern verdeckt unter dem Briefkopf der eigentlich zuständigen örtlichen Familienkasse. Dass diese Umgehung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs rechtswidrig ist und eine – wie die beklagte Familienkasse vorträgt – lediglich „virtuelle“ Abordnung nicht den Zuständigkeitsanforderungen genügt, hat nun der 3. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts entschieden.

Eine solche „virtuelle“ Abordnung von Bediensteten einer Behörde an die eigentlich gesamtzuständige örtliche Familienkasse ist nach Auffassung des 3. Senats unbeachtlich, da sie nicht die Maßstäbe einer rechtsstaatlichen Verwaltungsorganisation erfüllt. Das Demokratieprinzip erfordere eine klare Zuordnung von Verwaltungszuständigkeiten und verbiete das Tätigwerden einer anderen Behörde unter dem Briefkopf der materiell zuständigen Behörde. Nach Auffassung des Senats ist es trotz entsprechender technischer Möglichkeiten weiterhin erforderlich, dass die gesetzlich zuständige Behörde mit eigenem Personal tätig werde. Es bestehe, so der 3. Senat, im Rahmen des Verwaltungsrechts auch keine Befugnis einer Behörde, eine andere Behörde generell für ein Tätigkeitsfeld – wie etwa im Zivilrecht – „zu beauftragen“ und im Außenverhältnis für sie als „Vertreter“ tätig zu werden, da weder eine gesetzliche Vertretungsbefugnis vorhanden sei, noch eine rechtsgeschäftliche Vertretungsbefugnis mangels gesetzlicher Grundlage verfassungsrechtlich legitimiert sei.

FG Niedersachsen, Mitteilung vom 23.09.2022 zum Gerichtsbescheid 3 K 113/22 vom 16.08.2022 (rkr)

Zur Möglichkeit der Berichtigung eines geschuldeten Umsatzsteuerbetrags einer Apotheke

Kann eine Apotheke den geschuldeten Umsatzsteuerbetrag berichtigen, wenn über das Vermögen des von ihr für Abrechnungszwecke mit den gesetzlichen Krankenkassen beauftragten Dienstleisters das Insolvenzverfahren eröffnet wird, bevor dieser das von den Krankenkassen an ihn überwiesene Entgelt an die Apotheke weitergeleitet hat?

Das Finanzgericht Baden-Württemberg verneinte dies. Die Revision ist beim Bundesfinanzhof anhängig.

Der Kläger betreibt eine Apotheke, die gesetzlichen Krankenkassen Arznei- oder Heilmittel liefert, die die Versicherten als Sachleistungen erhalten. Er hat mit einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) einen „Vertrag zur Übernahme der Abrechnungstätigkeit und des Einzugs von Rezeptforderungen“ vereinbart. Die GmbH rechnete daraufhin mit den Krankenkassen ab und zog die Forderungen in ihrem Namen auf Rechnung des Klägers ein. Die Krankenkassen zahlten für die Arzneimittellieferungen des Klägers an die GmbH. Die GmbH teilte dem Kläger den Zahlungseingang mit. Der Kläger berechnete in seinen monatlichen Voranmeldungen die Umsatzsteuer nach vereinbarten Entgelten einschließlich der noch offenen Restzahlungen für August und September 2020 abzüglich der hierauf entfallenden Umsatzsteuer. Bevor die GmbH die Restzahlungen für August und September 2020 an den Kläger weitergeleitet hat, wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger beantragte sodann beim Beklagten, diese Restzahlungen nicht mehr als Umsatz zu erfassen. Die Restzahlungen seien uneinbringlich geworden. Eine Änderung lehnte der Beklagte ab. Habe der Kläger seine Ansprüche gegen die Krankenkasse abgetreten und diese deshalb an die GmbH gezahlt, sei das Entgelt dem Kläger zuzurechnen und nicht uneinbringlich geworden.

Das Finanzgericht Baden-Württemberg entschied, dass Leistungsempfänger der Lieferungen des Klägers die jeweilige Krankenkasse sei. Diese habe jeweils die vereinbarte Gegenleistung vereinbarungsgemäß an die GmbH gezahlt. Das Entgelt sei daher nicht uneinbringlich geworden. Die Umsatzsteuer sei mit den Lieferungen für die Krankenkasse an deren Versicherte entstanden – auch soweit die GmbH noch die Weiterleitung des Kaufpreises schulde. Die Abtretung der Ansprüche an die GmbH ändere hieran nichts. Mit der Zahlung der Krankenkasse an die GmbH sei der Anspruch des Klägers auf seine Gegenleistung erloschen. Der Kläger habe das vereinbarte Entgelt vereinnahmt. Die Leistungsverhältnisse zwischen dem Kläger und den Krankenkassen sowie dem Kläger und der GmbH seien getrennt zu betrachten.

FG Baden-Württemberg, Pressemitteilung vom 23.09.2022 zum Urteil 1 K 2073/21 vom 31.03.2022 (nrkr – BFH-Az.: XI R 15/22)

AfA-Berechtigung nach entgeltlichem Erwerb eines Anteils an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft

Hat der Gesellschafter einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft seinen Anteil entgeltlich erworben, kann er AfA auf die anteilig miterworbenen abnutzbaren Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens nur nach Maßgabe seiner Anschaffungskosten und der Restnutzungsdauer des jeweiligen Wirtschaftsguts im Zeitpunkt des Anteilserwerbs beanspruchen. Verbindlichkeiten der Gesellschaft erhöhen anteilig die Anschaffungskosten des Erwerbers, soweit sie den mittelbar erworbenen abnutzbaren Wirtschaftsgütern des Gesamthandsvermögens einzeln zuzuordnen sind. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden.

Im Streitfall waren ursprünglich zwei Brüder zu je 50% an einer vermögensverwaltenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) beteiligt. Die GbR erzielte Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Ein Gesellschafter schied aus der Gesellschaft aus, indem er seinen Anteil teilweise an seinen Bruder und teilweise an seine Schwägerin veräußerte. Streitig war vor allem, ob die von der GbR für den Erwerb von Grundstücken aufgenommenen und noch nicht getilgten Darlehen (Verbindlichkeiten der GbR) die Anschaffungskosten der Erwerber und dementsprechend die AfA auf die anteilig miterworbenen Gebäude erhöhte. Das Finanzamt und das Finanzgericht (FG) hatten dies abgelehnt.

Die Revision der Klägerin (GbR) hatte Erfolg. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ermittelt eine Personengesellschaft die gemeinschaftlich erzielten Einkünfte. Sie berücksichtigt dabei (auf Gesellschaftsebene) AfA auf die vermieteten Gebäude nach den historischen Anschaffungskosten. Die so ermittelten Einkünfte werden den Gesellschaftern nach ihren Beteiligungsverhältnissen unmittelbar zugerechnet. Daran ändert sich nichts, wenn ein Gesellschafter seinen Anteil entgeltlich auf einen oder mehrere neue Gesellschafter überträgt. Gesellschafter, die ihre Beteiligung nachträglich entgeltlich erworben haben, können die in ihrem Ergebnisanteil berücksichtigte AfA aber nicht beanspruchen. Ihre AfA-Berechtigung bemisst sich vielmehr nach den individuellen Anschaffungskosten und nach Maßgabe der voraussichtlichen Restnutzungsdauer des anteilig miterworbenen abnutzbaren Wirtschaftsguts im Zeitpunkt des Anteilserwerbs. Der ihnen zugerechnete Ergebnisanteil muss deshalb korrigiert werden, soweit die zustehende AfA von der AfA abweicht, die auf Gesellschaftsebene bei der Ermittlung der Einkünfte berücksichtigt worden ist.

Das Urteil befasst sich grundlegend und ausführlich mit der Frage, wie der Korrekturbetrag zu ermitteln ist. Es stellt außerdem klar, dass der Korrekturbetrag Gegenstand der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung ist, auch wenn er nur die persönlichen Verhältnisse einzelner Gesellschafter betrifft (Ergänzungsbereich). Daraus ergibt sich zugleich, dass die betreffenden Gesellschafter zur Klage der Gesellschaft gegen den Gewinnfeststellungsbescheid notwendig beizuladen sind, was im Streitfall unterblieben war.

Verbindlichkeiten der Gesellschaft erhöhen die Anschaffungskosten des Erwerbers. Den anteilig miterworbenen Wirtschaftsgütern sind sie nur zuzuordnen, soweit eine solche Zuordnung auch auf Gesellschaftsebene besteht. Dieser Zusammenhang war im Streitfall gegeben, da die Gesellschaft die Darlehen aufgenommen hatte, um bestimmte Vermietungsobjekte zu erwerben. Die Darlehen konnten deshalb auf Gesellschaftsebene einzelnen Wirtschaftsgütern eindeutig zugeordnet werden.

Übersteigen die Anschaffungskosten des Anteilserwerbers die Summe der Buchwerte der anteilig miterworbenen Wirtschaftsgüter, sind sie insoweit den anteilig miterworbenen Wirtschaftsgütern nach dem Verhältnis der in ihnen ruhenden stillen Reserven einzeln zuzuordnen. Die Aufteilung der sog. Mehranschaffungskosten erfordert dann eine Einzelbewertung jedes in Betracht kommenden Wirtschaftsguts im Zeitpunkt des Anteilserwerbs.

Gehört ein bebautes Grundstück zum anteilig miterworbenen Gesellschaftsvermögen, ist eine erneute Aufteilung der anteiligen Anschaffungskosten auf Grund und Boden einerseits und Gebäude andererseits erforderlich, um eventuell im nicht abnutzbaren Wirtschaftsgut Grund und Boden entstandene stille Reserven zutreffend zu erfassen. Im Streitfall hat der BFH die Sache an das FG zurückverwiesen, damit es die erneute Aufteilung nachholt. Vor diesem Hintergrund hat der BFH davon abgesehen, die unterbliebenen Beiladungen selbst vorzunehmen.

BFH, Pressemitteilung vom 22.9.2022 zu Urteil vom 03.05.2022, IX R 22/19

Mehr Zeit für die Grundsteuererklärung!

Die Abgabefrist für die Grundsteuererklärung wird um 3 Monate bis 31. Januar 2023 verlängert.

„Die Abgabefrist bei der Grundsteuererklärung wird bis zum 31. Januar 2023, also um drei Monate, verlängert! Damit entlasten wir unsere Bürgerinnen und Bürger, die Wirtschaft sowie die Steuerberaterinnen und -berater deutlich. Wir müssen die Menschen mitnehmen!“, sagt Finanz- und Heimatminister Albert Füracker anlässlich des Beschlusses der Länder bei der Finanzministerkonferenz am Donnerstag (13.10.2022). „Die Bayerische Steuerverwaltung unterstützt natürlich weiterhin mit ihrem umfangreichen Serviceangebot bei der Abgabe der Grundsteuererklärung, nutzen Sie dieses auch künftig gerne!“, so Füracker.

Bis einschließlich 12. Oktober 2022 wurden bayernweit (elektronisch und auf Papier) rund 2,1 Millionen Grundsteuererklärungen abgegeben. Dies entspricht rund 32,5 Prozent der abzugebenden Grundsteuererklärungen. Der Anteil der elektronisch abgegebenen Grundsteuererklärungen liegt in Bayern derzeit bei über 76 Prozent.

Finanzministerium Bayern, Pressemitteilung vom 13.10.2022

Meldepflicht für Einkünfte auf Internet-Plattformen

Betreiber digitaler Plattformen sollen verpflichtet werden, den Finanzbehörden Informationen über Einkünfte zu melden, die von Anbietern auf diesen Plattformen erzielt worden sind. Um auch ausländische Anbieter zu erfassen, soll es einen automatischen Austausch von Informationen zwischen den Mitgliedsländern der Europäischen Union geben. Dies sieht der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/514 des Rates vom 22. März 2021 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Modernisierung des Steuerverfahrensrechts (20/3436) vor.

Darin heißt es, zu den Bereichen, in denen es bislang an steuerlicher Transparenz gefehlt habe, sei vor allem die Plattformökonomie zu rechnen. Zu den bekanntesten Beispielen zählten Portale, die die Kurzzeitvermietung privaten Wohnraums ermöglichten, der Fahrdienstvermittlung dienten oder zum Verkauf von Waren genutzt würden. Eine große Zahl von Personen und Unternehmen nutze digitale Plattform zur Erzielung von Einkünften. Die gleichmäßige und gesetzmäßige Besteuerung dieser Einkünfte stelle für die Finanzbehörden allerdings eine Herausforderung dar. Es bestehe Grund zu der Annahme, dass die erzielten Einkünfte vielfach gegenüber den Finanzbehörden gar nicht oder nur unvollständig erklärt würden. Oft sei es für die Finanzbehörden schwer, die Angaben zu verifizieren und unbekannte Steuerfälle zu ermitteln. Von den Plattformbetreibern könnten erforderliche Auskünfte regelmäßig nicht erlangt werden. Das sei insbesondere dann der Fall, wenn diese Plattformbetreiber im Ausland ansässig seien und das Angebot von inländischen Steuerpflichtigen in Anspruch genommen werde.

Daher sollen die Betreiber digitaler Plattformen verpflichtet werden, an das Bundeszentralamt für Steuern Informationen zu melden, die eine Identifizierung der auf den Plattformen aktiven Anbieter und die steuerliche Bewertung der von diesen durchgeführten Transaktionen ermöglichen. Meldepflichtig seien Anbieter sowohl aus dem Inland als auch aus anderen EU-Mitgliedsländern. Dazu ist auch ein automatischer Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden in den EU-Mitgliedsländern geplant.

Außerdem sieht der Gesetzentwurf Änderungen bei der Durchführung von steuerlichen Außenprüfungen vor. Diese Außenprüfungen sollen zeitnaher durchgeführt und beschleunigt werden.

Bundestag, hib-Meldung 457/2022 vom 19.09.2022

Das Anfordern von Unterlagen kann eine Prüfungshandlung darstellen, durch die eine den Ablauf der Festsetzungsfrist hemmende Außenprüfung wirksam beginnt

Der 1. Senat des Finanzgerichts Düsseldorf hatte sich mit dem Zeitpunkt des Beginns einer Außenprüfung auseinanderzusetzen.

Die Klägerin reichte ihre Umsatzsteuererklärung 2015 im Jahr 2016 beim beklagten Finanzamt ein. Nachdem im Dezember 2020 bereits mit einer Außenprüfung für die Umsatzsteuer 2016 bis 2018 begonnen worden war, erweiterte der Prüfer den Prüfungszeitraum mit Schreiben vom 15.12.2020 (Eingang laut Kanzleistempel des Prozessbevollmächtigten am 21.12.2020) auf die Umsatzsteuer 2015. Als voraussichtlicher Prüfungsbeginn war der 21.12.2020 angegeben.

Mit Fax vom 18.12.2020, das auf die Erweiterung der Betriebsprüfung Bezug nahm, forderte der Prüfer bestimmte Unterlagen für 2015, wie Eingangs-/Ausgangsrechnungen, elektronische FiBu-Daten etc., an. Zudem bat er um die Beantwortung mehrerer, ausführlich formulierter Fragen für den Zeitraum 2016 bis 2018. Eine Frage betraf dabei die Errichtung und die Veräußerung von Bauten auf einem in 2015 erworbenen Grundstück.

Nach Abschluss der Betriebsprüfung im Jahr 2021 erließ der Beklagte einen geänderten Umsatzsteuerbescheid. Dagegen wandte die Klägerin ein, der Umsatzsteuerbescheid 2015 habe nicht geändert werden dürfen, da die reguläre Festsetzungsfrist am 31.12.2020 abgelaufen sei. Eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO greife nicht. Reine Vorbereitungshandlungen wie die Versendung einer Prüfungsanordnung bzw. die Anforderung allgemeiner Unterlagen mit Schreiben vom 18.12.2020 führten noch nicht zu einer Ablaufhemmung. Zudem seien in zeitlicher Hinsicht vor dem in der Prüfungsanordnung angegebenen Prüfungsbeginn, dem 21.12.2021, durchgeführte Tätigkeiten lediglich als Prüfungsvorbereitungen zu bewerten. Nach dem 21.12.2021 bis zum Jahresende seien aber keine Prüfungshandlungen vorgenommen worden.

Mit Urteil vom 08.07.2022 bejahte der 1. Senat dagegen eine Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist wegen der am 18.12.2020 begonnenen Außenprüfung. Die ergänzende Prüfungsanordnung vom 15.12.2020 und die Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen vom 18.12.2020 wertete das Gericht als Beginn der Außenprüfung für die Umsatzsteuer 2015. Das Vorlageersuchen habe konkrete Ermittlungsmaßnahmen auch für das Jahr 2015 zum Inhalt gehabt und stelle insoweit eine Prüfungshandlung dar, die über eine bloße Vorbereitungshandlung hinausgehe.

Für eine Prüfungshandlung sei nicht erforderlich, dass der Prüfer auf einen bestimmten Einzelsachverhalt bezogene Unterlagen anfordere oder Fragen stelle. Anhaltspunkte für bloße Scheinhandlungen, die lediglich den Zweck verfolgten, die Ablaufhemmung herbeizuführen, konnte der Senat nicht ersehen. Unschädlich sei ferner, dass die tatsächliche Bekanntgabe der ergänzenden Prüfungsanordnung der Prüfungshandlung nachfolgte, denn für die Klägerin sei zu diesem Zeitpunkt erkennbar gewesen, dass die Prüfung mit der Anforderung der Unterlagen am 18.12.2020 bereits begonnen habe.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die Klägerin hat gegen das Urteil eine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, die unter dem Az. V B 75/22 beim Bundesfinanzhof anhängig ist.

FG Düsseldorf, Mitteilung vom 16.09.2022 zum Urteil 1 K 472/22 U vom 08.07.2022 (nrkr – BFH-Az.: V B 75/22)

Erbschaftsteuerbefreiung für denkmalgeschützte Objekte bei Zeitnähe zwischen Erwerb und Einleitung von Maßnahmen zur Nutzbarmachung

Der 3. Senat des Finanzgerichts Münster hat entschieden, dass die 85%ige Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a ErbStG zumindest die Einleitung von Maßnahmen zur Nutzbarmachung eines denkmalgeschützten Objekts für die Öffentlichkeit kurze Zeit nach Kenntnis des Erwerbs voraussetzt, während eine anschließende mehrjährige Umsetzungsphase unschädlich ist.

Ende 2013 verstarb der Ehemann der Klägerin. Alleinerbin war dessen Tochter, die aber aufgrund von letztwilligen Verfügungen mit Vermächtnissen und Auflagen zugunsten der Klägerin belastet war. Die daraus resultierenden Streitigkeiten zwischen der Klägerin und der Erbin wurden durch einen Ende 2015 geschlossenen Erbvergleichsvertrag beendet. Danach erhielt die Klägerin u. a. eine Immobilie, die mit einem unter Denkmalschutz stehenden Friesenhaus aus dem 17. Jahrhundert bebaut war.

Im Mai 2016 nahm die Klägerin Kontakt mit dem örtlichen Tourismusbüro auf, um Führungen durch das Objekt anzubieten. Die hierzu mit dem Heimatverein im Oktober 2016 aufgenommenen Verhandlungen scheiterten im April 2017.

Die Klägerin beantragte beim Finanzamt die Gewährung der Steuerbefreiung i. H. v. 85 % gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. a ErbStG, da die Nutzbarmachung für Zwecke der Volksbildung beabsichtigt sei. Dies lehnte das Finanzamt wegen der fehlenden Zeitnähe der begünstigten Nutzung zum Erbfall ab. Eine im Jahr 2017 diesbezüglich erhobene Klage wurde im August 2018 einvernehmlich dahingehend erledigt, dass das Finanzamt die Festsetzung wegen der beantragten Steuerermäßigung für vorläufig erklärt.

Seit Januar 2019 können Führungen durch dieses Objekt gebucht werden. Daraufhin beantragte die Klägerin erneut die Gewährung der Steuerermäßigung, was vom Finanzamt wiederum wegen fehlender Zeitnähe abgelehnt wurde.

Der 3. Senat des Finanzgerichts Münster hat der hiergegen erhobenen Klage stattgegeben. Der Klägerin sei die begehrte Steuerbefreiung zu gewähren. Der Grundbesitz sei im öffentlichen Interesse erhaltenswert, da es unter Denkmalschutz stehe. Dass die jährlichen hohen Kosten in der Regel die erzielten Einnahmen übersteigen, habe die Klägerin ebenfalls substantiiert dargelegt. Durch die seit Januar 2019 stattfindenden Führungen habe sie das Objekt auch der Öffentlichkeit mit dem Zweck der Volksbildung nutzbar gemacht. Eine ständige Zurverfügungstellung für die Öffentlichkeit sei hierfür – insbesondere in Pandemiezeiten – nicht erforderlich.

Die Steuerbefreiung scheitere schließlich auch nicht an der grundsätzlich erforderlichen zeitlichen Nähe zwischen dem Zeitpunkt des Erwerbs und der Nutzbarmachung. Das Gesetz sehe zwar keine zeitliche Grenze vor, allerdings sei vor dem Hintergrund der sehr hohen Steuerbefreiung von 85 % aus Gleichbehandlungsgründen eine gewisse Zeitnähe zu verlangen. Diese könne aber nicht pauschal festgelegt werden, sondern sei abhängig von den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen.

Ausgangspunkt sei im Streitfall nicht der Todeszeitpunkt Ende 2013, sondern erst der Abschluss des Erbvergleichsvertrags Ende 2015. Erst ab diesem Zeitpunkt könne vom Erwerber eine Entscheidung darüber erwartet werden, ob er Grundbesitz für die Öffentlichkeit nutzbar machen möchte. Hiernach habe die Klägerin innerhalb von wenigen Monaten und damit zeitnah Aktivitäten eingeleitet, um das Objekt zu öffnen. Nach den gescheiterten Verhandlungen mit dem Heimatverein und dem Abschluss des ersten Klageverfahrens habe sich die Klägerin wiederum zeitnah um eine Öffnung bemüht und diese ab Januar 2019 realisiert.

Der Senat hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

FG Münster, Mitteilung vom 15.09.2022 zum Urteil 3 K 2935/20 Erb vom 19.08.2022

Erschütterung des für eine private Pkw-Nutzung sprechenden Anscheinsbeweises

Der für die Privatnutzung eines betrieblichen Pkw sprechende Anscheinsbeweis kann auch auf andere Weise als durch das Vorhandensein eines in Status und Gebrauchswert vergleichbaren Pkw im Privatvermögen erschüttert werden. Dies hat der 6. Senat des Finanzgerichts Münster entschieden.

Zum Haushalt der miteinander verheirateten Kläger gehörten in den Streitjahren 2015 und 2016 zwei volljährige Kinder. Im Privatvermögen hielten die Kläger im Streitzeitraum (teilweise nacheinander) insgesamt drei Kleinwagen, die in erster Linie von den Kindern genutzt wurden. Der Kläger unterhielt auf demselben Grundstück, auf dem sich auch das Wohnhaus der Familie befand, einen Gartenbaubetrieb, war aber hauptberuflich anderweitig als Arbeitnehmer beschäftigt. Die Klägerin arbeitete neben 20 weiteren Arbeitnehmern bzw. Aushilfen auf Mini-Job-Basis im Betrieb des Klägers.

Im Betriebsvermögen hielt der Kläger neben einem dem Vorarbeiter zugeordneten Dienstwagen einen BMW X3 und ab Februar 2015 einen Ford Ranger, für die keine Fahrtenbücher geführt wurden. Für den BMW versteuerte er die Privatnutzung nach der 1 %-Regelung, während er für den Ford Ranger keinen Privatnutzungsanteil ansetzte. Das Finanzamt wandte demgegenüber auch für den Ford Ranger die 1 %-Regelung an, da die privaten Fahrzeuge in Status und Gebrauchswert nicht mit diesem Pkw vergleichbar seien und nicht allen Familienmitgliedern jederzeit ein Fahrzeug zur privaten Nutzung zur Verfügung gestanden habe.

Zur Begründung ihrer Klage machten die Kläger geltend, dass der Ford Ranger den Mitarbeitern des Betriebs arbeitstäglich permanent als Zugmaschine zur Verfügung stehen müsse. Aufgrund des Verschmutzungszustands sei es lebensfremd, dieses Fahrzeug an Wochenenden für Familienfahrten zu nutzen. Hierfür bleibe wegen der geringen jährlichen Fahrleistung von durchschnittlich 8.900 km auch kein Raum.

Die Klage hatte Erfolg. Der 6. Senat des Finanzgerichts Münster ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht zu der Überzeugung gelangt, dass der Ford Ranger in den Streitjahren tatsächlich privat genutzt wurde. Nach dem Beweis des ersten Anscheins spreche die allgemeine Lebenserfahrung zwar dafür, dass betriebliche Fahrzeuge, die zu privaten Zwecken zur Verfügung stehen, auch tatsächlich privat genutzt würden. Dieser Anscheinsbeweis sei im Streitfall allerdings erschüttert.

Zwar handele es sich bei dem Ford Ranger um ein Fahrzeug, das sich typischerweise auch für eine Privatnutzung eignet. Auch der ebenfalls privat genutzte betriebliche BMW X3 sei nicht geeignet, den Anscheinsbeweis zu erschüttern, da er wegen der betrieblichen Nutzung nicht vollumfänglich für Privatfahrten zur Verfügung stehe.

Der Senat hat aber aufgrund des dargelegten Sachverhalts die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehens angenommen. Zunächst sei nachvollziehbar, dass der Ford Ranger permanent aufgrund seiner Zugkraft im Betrieb eingesetzt worden sei. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass der Kläger seinen Gartenbaubetrieb nur als Nebentätigkeit ausgeübt habe und den Ford Ranger damit nicht arbeitstäglich selbst genutzt haben könne. Hierdurch sei die Möglichkeit einer Privatnutzung erheblich eingeschränkt gewesen. Zu berücksichtigen sei auch, dass beide Kläger für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte aufgrund der kurzen Entfernungen keinen Pkw benötigt hätten. Schließlich habe der Ford Ranger auch nicht für bestimmte Anlässe privat genutzt werden müssen, da die Entsorgung von Grünschnitt über einen auf dem Grundstück befindlichen Container erfolgt und für den Umzug der Tochter ein Transporter geliehen worden sei.

Der Senat hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

FG Münster, Pressemitteilung vom 15.09.2022 zum Urteil 6 K 2688/19 E vom 16.08.2022

Mehr Umsatzsteuer für den Bund

Der Anteil des Bundes am Gesamtaufkommen der Umsatzsteuer ist im Jahr 2021 wieder gestiegen.

Der Bundesanteil am Gesamtaufkommen habe sich im letzten Jahr auf 45,1 Euro erhöht und sei im Vergleich zum historisch niedrigen Vorjahreswert von 43 Prozent um 2,1 Prozentpunkte angestiegen, heißt es in dem von der Bundesregierung als Unterrichtung (20/3330) vorgelegten Bericht über Struktur und Höhe des Finanzkraftausgleichs sowie der Zuweisungen gemäß Paragraph 11 des Finanzausgleichsgesetzes im Ausgleichsjahr 2021.

Entsprechend ging der Anteil der Länder von 52,9 auf 51,2 Prozent und der Gemeinden von 4,1 auf 3,7 Prozent zurück. Insgesamt flossen aus der Umsatzsteuer im Jahr 2021 250,8 Milliarden Euro in die Staatskassen. Davon erhielten der Bund rund 113,1, die Länder rund 128,5 und die Gemeinden rund 9,2 Milliarden Euro. Über die Hälfte des gesamten Länderanteils an der Umsatzsteuer floss an die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen.

Bundestag, hib-Meldung 450/2022 vom 15.09.2022

Häusliches Arbeitszimmer eines Gutachters kann in voller Höhe abzugsfähig sein

as Finanzgericht Münster hat entschieden, dass das häusliche Arbeitszimmer eines u. a. von Gerichten beauftragten psychologischen Gutachters den Mittelpunkt dessen beruflicher Tätigkeit darstellen kann mit der Folge, dass die Aufwendungen unbegrenzt als Werbungskosten abzugsfähig sind.

Der Kläger ist als selbstständiger psychologischer Gutachter tätig und wird vor allem in Überprüfungsverfahren für Strafvollstreckungskammern und für Einrichtungen des Maßregelvollzugs tätig. Im Streitjahr 2020 machte er Kosten für ein häusliches Arbeitszimmer in Höhe von knapp 2.400 Euro als Betriebsausgaben geltend. Das Finanzamt erkannte die Aufwendungen lediglich i. H. v. 1.250 Euro an, weil das häusliche Arbeitszimmer nicht den Mittelpunkt der Tätigkeit des Klägers darstelle. Der qualitative Schwerpunkt liege in den für die Begutachtung unerlässlichen Explorationen der zu begutachtenden Personen.

Hiergegen wandte der Kläger ein, dass die Explorationen und die Gerichtstermine im Verhältnis zur Tätigkeit im Arbeitszimmer in einem zeitlich untergeordneten Rahmen lägen (Verhältnis zwischen 1:3 und 1:5). Die Ausarbeitung der Gutachten erfordere die Auswertung aller vorliegenden Informationen und stelle die eigentliche Tätigkeit dar.

Der Senat hat der Klage stattgegeben. Der für den vollständigen Abzug der Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer erforderliche Mittelpunkt der betrieblichen und beruflichen Betätigung bestimme sich vorrangig nach dem qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit. Beim Kläger liege dieser in seinem Arbeitszimmer. Kern seiner Gutachtertätigkeit sei es, unter Ermittlung der erforderlichen Tatsachengrundlage eine Prognoseentscheidung zu treffen. Alleiniger Schwerpunkt dieser Tätigkeit seien die im Arbeitszimmer ausgeübten Tätigkeiten der Auswertung der Akten und der Explorationen und die darauf aufbauenden, für das Treffen und die Begründung der Prognoseentscheidung erforderlichen Recherche-, Rechen-, Bewertungs- und Schreibarbeiten.

Demgegenüber stellten die Explorationen selbst keinen weiteren wesentlichen Teil der Tätigkeit des Klägers dar. Diese seien zwar wichtige Bausteine für die Prognoseentscheidungen, würden aber wegen der freiwilligen Teilnahme der Probanden nicht immer von den Auftraggebern verlangt und seien auch nicht in jedem Fall erforderlich. Alternativ zur Exploration gebe es auch andere Analyseinstrumente, die der Kläger in einem erheblichen Teil der Gutachten verwandt habe. Zudem sei die Durchführung der Explorationen weitgehend standardisiert.

FG Münster, Mitteilung vom 15.09.2022 zum Urteil 8 K 3186/21 E vom 18.08.2022