Übertragung des BEA-Freibetrags: Anforderungen an das Merkmal der regelmäßigen, nicht unwesentlichen Betreuung

Das Niedersächsische Finanzgericht hat entschieden, dass ein Vater, der seinen bei seiner geschiedenen Ehefrau lebenden minderjährigen Sohn entsprechend dem vereinbarten Umgangsrecht nahezu an jedem zweiten Wochenende abholt und betreut, einen nicht unwesentlichen zeitlichen Betreuungsanteil i. S. v. § 32 Abs. 6 Satz 9 Alt. 2 EStG leistet und damit der Übertragung des ihm zustehenden Freibetrags für den Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf (BEA-Freibetrags) auf die Kindesmutter wirksam widersprechen kann.

Das Finanzgericht (FG) hat sich dabei insbesondere mit der Frage der Bestimmung der Wesentlichkeitsgrenze in zeitlicher Hinsicht auseinandergesetzt.

Im Streitfall hatte der Kläger (Kindesvater) mit seiner geschiedenen Ehefrau (Kindesmutter; Beigeladene) vor dem Familiengericht ein Umgangsrecht dergestalt vereinbart, dass er seinen Sohn in einem wöchentlichen Rhythmus jedes zweite Wochenende samstags um 10.00 Uhr abholt und sonntags um 16.00 Uhr zurückbringt. Die einfache Entfernung zwischen den Wohnorten betrug 163 km. Vergeblich begehrte der Kläger beim beklagten Finanzamt die Berücksichtigung des BEA-Freibetrags im Hinblick auf die von ihm erbrachten Betreuungsleistungen. Das Finanzamt war der Meinung, der vom Kläger geltend gemachte Betreuungsumfang (2016: 45 Tage; 2017: 55 Tage) sei nicht ausreichend.

Erst die Klage beim Niedersächsischen FG hatte Erfolg. Das FG folgte dabei den Grundsätzen der neuen BFH-Rechtsprechung zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der „nicht unwesentlichen“ Betreuung in § 32 Abs. 6 Satz 9 Alt. 2 EStG. Danach bestehen grundsätzlich aus Vereinfachungsgründen keine Bedenken, bei einem zeitlichen Betreuungsanteil von jährlich durchschnittlich 10% von einem ausreichenden Betreuungsumfang auszugehen (BFH, Urteil vom 8. November 2017 III R 2/16, BFHE 260, 103, BStBl. II 2018, 266).

Im Streitfall war zwischen den Beteiligten streitig, wie die 10%-Grenze in zeitlicher Hinsicht zu bestimmen ist und ob in diesem Zusammenhang auch Tage voll mitzählen, an denen das Kind nur einen Teil des Tages betreut wird.

Das FG hat diese Frage zugunsten des Klägers bejaht.

Einzelne Betreuungstage zählen danach zur Bestimmung eines wesentlichen Betreuungsumfangs auch dann mit, wenn die Betreuungszeit nicht volle 24 Stunden umfasst. Dies gelte jedenfalls für den Fall, dass – wie im Streitfall – die Betreuungszeit deutlich mehr als 12 Stunden beträgt und damit über reine Besuchszwecke deutlich hinausgehe. Alles andere würde zur Überzeugung des FG ggf. auf eine stundengenaue Protokollierung hinauslaufen und damit dem vom BFH mit der festgelegten Wesentlichkeitsgrenze von 10 % verfolgten Vereinfachungszweck zuwiderlaufen.

Schließlich weist das FG darauf hin, dass im Streitfall selbst bei stundengenauer Abrechnung mit der Folge des Unterschreitens der Wesentlichkeitsschwelle im Streitfall gleichwohl von einem wesentlichen Betreuungsumfang auszugehen ist. Angesichts der großen Entfernung zwischen den Wohnorten des Klägers und der Beigeladenen, die einen höheren Betreuungsanteil wegen der Arbeitsverpflichtung unter der Woche erschwere und die Betreuungszeiten in der Regel auf die Wochenenden, Feiertagen und Urlaubszeiten beschränke, erscheine der Betreuungsanteil auch in diesem Fall als nicht unwesentlich.

(FG Niedersachsen, Mitteilung vom 07.05.2020 zu Urteil vom 19.02.2020 – 9 K 20/19)

Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges

Ein generelles Reverse-Charge-Verfahren kann nach Ansicht der Bundesregierung grundsätzlich ein wirksames Mittel zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges in der EU sein. Dies teilt sie in einer Antwort (19/18448 ) auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion (19/17941 ) mit.

In der Vorbemerkung der Kleinen Anfrage wird das Reverse-Charge-Verfahren als ein Lösungsansatz bezeichnet, bei dem die Steuerschuldnerschaft umgedreht werde. Das bedeute, nicht der Erbringer einer Leistung, sondern ihr Empfänger müsse die Umsatzsteuer abführen.

Nach Angaben der Bundesregierung liegt das Recht, die Initiative für eine Änderung des geltenden Rechtsrahmens der Mehrwertsteuer zu ergreifen, allein bei der Europäischen Kommission. Sollte die Europäische Kommission in Zukunft von ihrem Initiativrecht Gebrauch machen, werde die Bundesregierung die entsprechenden Vorschläge prüfen heißt es in der Antwort weiter.

(Deutscher Bundestag, hib-Meldung Nr. 442/2020 vom 30.4.2020)

in Statistik über die Einspruchsbearbeitungden Finanzämtern im Jahr 2018

Das Bundesministerium der Finanzen hat aus den Einspruchsstatistiken der Steuerverwaltungen der Länder (nach dem Stand 26. März 2020) die folgenden Daten zur Einspruchsbearbeitung in den Finanzämtern im Jahr 2018 zusammengestellt.

Unerledigte Einsprüche am 31.12.2017: 2.272.125

Eingegangene Einsprüche: 3.389.956 (Veränderung gegenüber Vorjahr: + 4,4 %)

Erledigte Einsprüche: 3.253.785 (Veränderung gegenüber Vorjahr: – 2,7 %)

davon erledigt durch

  • Rücknahme des Einspruchs: 691.571 (= 21,3 %)

  • Abhilfe: 2.094.146 (= 64,4 %)

  • Einspruchsentscheidung (ohne Teil-Einspruchsentscheidungen): 430.173 (= 13,2 %)

  • Teil-Einspruchsentscheidung: 19.578 (= 0,6 %)

  • auf andere Weise: 18.317 (= 0,6 %)

Saldo aus Übernahmen, Abgaben, Storni und sonstigen Bestandskorrekturen: – 50.904

Unerledigte Einsprüche am 31.12.2018: 2.357.392 (Veränderung gegenüber Vorjahr: + 3,8 %)

Teil-Einspruchsentscheidungen (§ 367 Absatz 2a der Abgabenordnung – AO -) werden als Erledigungsfall im Sinne der Statistik behandelt, da davon auszugehen ist, dass insoweit die Einspruchsverfahren in den meisten Fällen durch eine Allgemeinverfügung nach § 367 Absatz 2b AO abgeschlossen werden, was dann keinen Erledigungsfall im Sinne der Statistik mehr darstellt.

Der Endbestand (2.357.392) enthält 1.302.200 Verfahren, die nach § 363 AO ausgesetzt sind oder ruhen und daher von den Finanzämtern nicht abschließend bearbeitet werden konnten.

Seit dem Berichtsjahr 2014 enthält die Statistik die Erledigungsart „Auf andere Weise“. Hierunter fallen z. B. Verfahren, in denen sich eine angefochtene Außenprüfungsanordnung vor einer Entscheidung über den Einspruch mit Beendigung der Außenprüfung erledigt hat, sowie Fälle, in denen sich ein mit einem Einspruch beantragter Lohnsteuer-Freibetrag (§ 39a EStG) im Lohnsteuerabzugsverfahren nicht mehr auswirken kann. Früher wurden diese – zahlenmäßig unbedeutenden – Fälle in der Einspruchsstatistik uneinheitlich berücksichtigt.

Seit der Statistik für das Jahr 2013 enthält die Einspruchsstatistik die Rubrik „Saldo aus Übernahmen, Abgaben, Storni und sonstigen Bestandskorrekturen“. Früher wurden in der Statistik Abgaben und Übernahmen saldierend bei den Eingängen sowie sonstige Bestandskorrekturen (z. B. nach Aufdecken fehlerhafter Einträge in den Rechtsbehelfslisten) entweder ebenfalls saldierend bei den Eingängen oder durch eine Anpassung des Anfangsbestandes berücksichtigt.

Abhilfen beruhen häufig darauf, dass erst im Einspruchsverfahren Steuererklärungen abgegeben oder Aufwendungen geltend gemacht werden. Ferner kann Einsprüchen, die im Hinblick auf anhängige gerichtliche Musterverfahren eingelegt wurden, durch Aufnahme eines Vorläufigkeitsvermerks in den angefochtenen Steuerbescheid abgeholfen worden sein. Aus einer Abhilfe kann daher nicht „automatisch“ geschlossen werden, ob und inwieweit der angefochtene Bescheid fehlerhaft war.

Ferner kann auch keine Aussage zum Anteil der von den Steuerbürgern angefochtenen Verwaltungsakte getroffen werden. Hierfür müsste die Zahl der jährlich erlassenen Verwaltungsakte bekannt sein. Daten hierzu liegen dem BMF nicht vor, zumal mit dem Einspruch nicht nur Steuerbescheide angefochten werden können, sondern auch sonstige von den Finanzbehörden erlassene Verwaltungsakte, wie z. B. die Anordnung einer Außenprüfung oder die Ablehnung einer Stundung.

Im Jahr 2018 wurden gegen die Finanzämter 58.985 Klagen erhoben (nach der Zählweise der Finanzverwaltung); dies entspricht einem Prozentsatz von lediglich rd. 1,8 % der insgesamt erledigten Einsprüche.

(Bundesfinanzministerium, Mitteilung vom 27.4.2020)

Pfändung der Corona-Soforthilfe ist unzulässig

Eine Kontenpfändung des Finanzamts, die auch Beträge der Corona-Soforthilfe umfasst, ist rechtswidrig. Das hat das Finanzgericht Münster in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entschieden.

Der Antragsteller betreibt einen Reparaturservice und erzielt hieraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Infolge der Auswirkungen der Corona-Pandemie war es dem Antragsteller nicht möglich, Reparaturaufträge zu erhalten. Er beantragte deshalb am 27.03.2020 zur Aufrechterhaltung seines Gewerbebetriebs beim Land Nordrhein-Westfalen eine Corona-Soforthilfe i. H. v. 9.000 Euro für Kleinstunternehmer und Soloselbständige, die mit Bescheid vom selben Tag von der Bezirksregierung bewilligt und auf sein Girokonto überwiesen wurde. Da dieses Konto mit einer im November 2019 vom Finanzamt ausgebrachten Pfändungs- und Einziehungsverfügung wegen Umsatzsteuerschulden aus den Jahren 2017 bis 2019 belastet war, verweigerte die Bank die Auszahlung der Corona-Soforthilfe. Der Antragsteller begehrte deshalb im Rahmen einer einstweiligen Anordnung die einstweilige Einstellung der Pfändung des Girokontos.

Der 1. Senat des Finanzgerichts Münster hat dem Antrag stattgegeben und das Finanzamt verpflichtet, die Kontenpfändung bis zum 27.06.2020 einstweilen einzustellen und die Pfändungs- und Einziehungsverfügung aufzuheben. Für den gerichtlichen Antrag bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis, weil die Corona-Soforthilfe nicht von den zivilrechtlichen Pfändungsschutzregelungen erfasst werde. Die Vollstreckung und die Aufrechterhaltung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung führten ferner zu einem unangemessenen Nachteil für den Antragsteller. Durch eine Pfändung des Girokonto-Guthabens, das durch den Billigkeitszuschuss in Form der Corona-Soforthilfe erhöht worden sei, werde die Zweckbindung dieses Billigkeitszuschusses beeinträchtigt. Die Corona-Soforthilfe erfolge ausschließlich zur Milderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie. Sie diene nicht der Befriedigung von Gläubigeransprüchen, die vor dem 01.03.2020 entstanden seien und somit nicht dem Zweck, die vor dem 01.03.2020 entstandenen Ansprüche des Finanzamts zu befriedigen. Da die Corona-Soforthilfe mit Bescheid vom 27.03.2020 für einen Zeitraum von drei Monaten bewilligt worden sei, sei die Vollstreckung bis zum 27.06.2020 einstweilen einzustellen.

(FG Münster, Pressemitteilung vom 19.05.2020 zu Beschluss vom 13.05.2020 – 1 V 1286/20)

Auswahlermessen der Finanzbehörde bei Bekanntgabe von Steuerbescheiden an Steuerpflichtigen oder an Bevollmächtigten ohne Empfangsvollmacht

Das Finanzamt ist in seinem Ermessen bei der Bekanntgabe von Steuerbescheiden nicht dahin beschränkt, dass Steuerbescheide nur der vom Steuerpflichtigen mit der Bearbeitung der Steuersache betrauten Rechtsanwaltskanzlei bekannt gegeben werden dürfen.

Die Bevollmächtigung zur Bearbeitung der Steuerangelegenheiten eines Mandanten beinhaltet nicht zwangsläufig auch die Erteilung einer Empfangsvollmacht. Das Fehlen einer Empfangsvollmacht wird nicht dadurch ersetzt, dass die Finanzbehörde zuvor in der Sache mit der Kanzlei schriftlich korrespondiert hat.

Sachverhalt:

Der Kläger war neben seiner Ehefrau Miterbe der 2013 verstorbenen Y, gegen die von der Steuerfahndung ermittelt wurde. Y hatte in der Schweiz Kapitalerträge von ca. 2,8 Millionen Euroerzielt, aber den deutschen Finanzbehörden nicht erklärt. Der Kläger beauftragte im Dezember 2013 die Kanzlei G mit der Bearbeitung seiner Steuerangelegenheiten. Die Kanzlei G reichte im November 2014 geänderte Einkommensteuererklärungen der Jahre 2000 bis 2013 für Y ein, die zu geänderten Einkommensteuerbescheiden mit Steuernachzahlungen in einer Gesamthöhe von ca. 1,2 Millionen Euro führten. In der von der Kanzlei G erstellten Erbschaftssteuererklärung des Klägers waren die Steuernachzahlungen nicht als Nachlassverbindlichkeiten enthalten. Die Erbschaftsteuererklärung enthielt keine Eintragungen in den Feldern Bekanntgabe. Mit Bescheid vom 11. Dezember 2014 setzte das Finanzamt (FA) bei einem steuerpflichtigen Erwerb in Höhe von 1.337.000 Euro die Erbschaftsteuer auf 401.100 Euro fest. Der Bescheid erging nach § 165 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) vorläufig „bezüglich noch anzusetzender Prüfungsfeststellungen der Steuerfahndung“ und wurde dem Kläger persönlich bekanntgegeben. Das FA änderte am 10. Juni 2015 den Erbschaftsteuerbescheid vom 11. Dezember 2014 wegen zuvor mit der Kanzlei besprochener Umstände. Das FA erklärte den Bescheid nach § 165 Abs. 2 Satz 2 AO mit Ausnahme der im Abschnitt „Erläuterungen“ genannten Punkte für endgültig. Die Erläuterungen des Bescheides lauten: 2Dieser Bescheid ändert den Bescheid vom 11.12.2014. Der Bescheid entspricht der Erörterung mit ihrem steuerlichen Berater. Auf die Anlage zu diesem Bescheid wird hingewiesen…“. Der geänderte Erbschaftsteuerbescheid wurde wieder dem Kläger persönlich bekanntgegeben. Hiergegen ließ der Kläger am 4. Juli 2016 mit dem Ziel Einspruch einlegen, die Einkommensteuernachforderungen als Nachlassverbindlichkeiten bei der Erbschaftsteuer abzuziehen. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück.

Aus den Gründen:

Das Finanzgericht wies die Klage ab. Soweit die Vorläufigkeit des Erbschaftsteuerbescheides vom 11. Dezember 2014 im Änderungsbescheid vom 10. Juni 2015 aufgehoben wurde, sei die Entscheidung bestandskräftig. Der Einspruch vom 4. Juli 2016 sei verspätet. Die Einkommensteuerschulden der Erblasserin aus der Nachversteuerung bislang nicht erklärter Einkünfte könnten nicht mehr als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt werden.

Wirksame Bekanntgabe der Erbschaftsteuerbescheide an den Kläger

Die Erbschaftsteuerbescheide seien dem Kläger wirksam bekanntgegeben worden. Die Voraussetzungen für eine Bekanntgabe an den Bevollmächtigten nach § 122 Abs. 1 Satz 4 AO lägen nicht vor. In den Akten des FA befinde sich keine schriftliche oder nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz elektronisch übermittelte Empfangsvollmacht zugunsten der Kanzlei G. Die Beweisaufnahme habe dem Senat nicht die Überzeugung vermittelt, dass dem FA bis zum Zeitpunkt des Ergehens der Erbschaftsteuerbescheide eine solche vorgelegt wurde, aber inzwischen verloren gegangen sei.

Bevollmächtigung zur Bearbeitung von Steuerangelegenheiten beinhaltet nicht zwangsläufig auch die Erteilung einer Empfangsvollmacht

Das FA sei in seinem Auswahlermessen in Bezug auf den Bekanntgabeadressaten aus § 122 Abs. 1 Satz 3 AO auch nicht dahin beschränkt, dass die Erbschaftsteuerbescheide nur der vom Kläger mit der Bearbeitung der Steuersache betrauten Kanzlei G bekannt gegeben werden durften. Das Fehlen einer Empfangsvollmacht werde nicht dadurch ersetzt, dass das FA zuvor in der Sache mit der Kanzlei G schriftlich korrespondiert habe. Die Bevollmächtigung zur Bearbeitung der Steuerangelegenheiten eines Mandanten beinhaltet nicht zwangsläufig auch die Erteilung einer Empfangsvollmacht. In der höchstpersönlich unterschriebenen Erbschaftsteuererklärung sei ist in der „Anlage Erwerber“ für den Kläger ebenso wie in der „Anlage Erwerber“ für seine Ehefrau in den Feldern Bekanntgabe keine Empfangsvollmacht zugunsten der Kanzlei G eingetragen gewesen. Das FA hätte dies dahin verstehen dürfen, dass der Kläger und seine Ehefrau keine Empfangsvollmacht erteilen wollten.

Einspruch verspätet, keine Verlängerung der regulären Einspruchsfrist wegen unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung

Der gegen den Erbschaftsteuerbescheid vom 10. Juni 2015 am 4. Juli 2016 eingelegte Einspruch sei außerhalb der regulären Einspruchsfrist eingelegt worden. Die am 15. Juli 2015 endende, reguläre Einspruchsfrist sei nicht nach § 356 Abs. 2 AO verlängert. Dem Erbschaftsteuerbescheid fehle es weder an einer Rechtsbehelfsbelehrung noch sei die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig erteilt.

Die Erläuterungen des Erbschaftsteuerbescheides vom 10. Juni 2015 enthielten keine irreführende, unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung. Der Senat folgte nicht der Auffassung des Klägers, das FA habe mit dem in den Erläuterungen gegebenen Hinweis „Dieser Bescheid ändert den Bescheid vom 11.12.2014. Der Bescheid entspricht der Erörterung mit ihrem steuerlichen Berater. …“ behauptet, mit der Kanzlei G sei auch besprochen worden, dass die Vorläufigkeit des Bescheides insoweit aufgehoben werde, als sie sämtliche Prüfungsfeststellungen der Steuerfahndung betreffen würde. Aus der Einkommensteuer resultierende Nachlassverbindlichkeiten seien aber mit dem steuerlichen Berater nicht erörtert worden.

Trennung von Rechtsbehelfsbelehrung und Bescheidbegründung

Die Rechtsbehelfsbelehrung eines Bescheides sei grundsätzlich von dessen Begründung zu trennen. Dieser Unterschied ist bereits gesetzestechnisch in der Abgabenordnung angelegt und aus den Normen der §§ 121, 126 AO auf der einen Seite und § 356 AO auf der anderen Seite ersichtlich. Eine Rechtsbehelfsbelehrung, die die (verfahrensrechtlichen) Rechtsschutzmöglichkeiten gegen einen Bescheid umfassend und klar darstellen soll, ist etwas anderes als die Begründung eines Verwaltungsaktes, die zu dessen materieller Erläuterung dienen soll. Dementsprechend unterscheiden sich auch die Rechtsfolgen einer unterlassenen oder unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung (dazu § 356 Abs. 2 AO) von denen einer fehlenden Begründung (dazu § 126 Abs. 3 AO).

Die beanstandeten Erläuterungen des Erbschaftsteuerbescheides vom 10. Juni 2015 seien keine Rechtsbehelfsbelehrung, sondern eine materielle Begründung der Steuerfestsetzung. Die pauschale Umetikettierung von eindeutigen, materiellen Bescheiderläuterungen in eine Rechtsbehelfsbelehrung sei nicht möglich.

Keine Verlängerung der Einspruchsfrist wegen Begründungsmängeln

Die reguläre Einspruchsfrist sei auch nicht nach § 126 Abs. 3 AO verlängert worden. Dem Erbschaftsteuerbescheid vom 10.06.2015 mangele es nicht an der erforderlichen Begründung. Dem Kläger sei bewusst gewesen, dass er mit den bescheidvorbereitenden Arbeiten die Kanzlei G als steuerlichen Berater beauftragt hatte. Ebenso musste ihm bewusst sein, dass er etwaige Erbschaftsteuerbescheide von den Finanzbehörden erhalten würde. Die Erläuterung des FA gebe zutreffend wieder, dass die Änderung des Erbschaftsteuerbescheides vom 11. Dezember 2014 vom FA mit seinem steuerlichen Berater erörtert worden war. An dieser Tatsache ändere der Umstand nichts, dass sowohl das FA als auch der steuerliche Berater die Berücksichtigung der Nachlassverbindlichkeiten vergessen hätten. Das FA habe die Situation, wie sie ihm am 10. Juni 2015 bekannt gewesen sei, in der Erläuterung richtig wiedergegeben. Sein Fehler, der darin liege, dass es das Vorhandensein der Steuerschulden der Erblasserin übersehen habe, lasse sich nicht durch ein Überspannen der Begründungspflicht korrigieren. Durch den Hinweis des FA auf eine dem Kläger möglicherweise nicht bekannte Erörterung der Steuerangelegenheit mit dem steuerlichen Berater sei dieser in die Lage versetzt worden, sich beim Berater über den Inhalt der Erörterung zu informieren und dabei möglicherweise auf die versäumte Geltendmachung der Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten zu stoßen.

Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO in Bezug auf die versäumte Einspruchsfrist scheide aus, da den Kläger wegen der Säumnis ein Verschulden treffe. Die vom Kläger und seiner Frau unterschriebene Erbschaftsteuererklärung habe keine Eintragungen über einen Empfangsbevollmächtigten bezeichnet. Das FA habe daher davon ausgehen dürfen, dass die Steuerpflichtigen die Zusendung der Erbschaftsteuerbescheide an sich selbst wünschten. Wenn sie anschließend die Bescheide nicht oder nicht rechtzeitig zur Prüfung an die Kanzlei G sandten und dadurch Rechtsbehelfsfristen verstreichen ließen, hätten sie diesbezüglich schuldhaft gehandelt.

Keine Nichtigkeit des Erbschaftsteuerbescheids

Der geänderte Erbschaftsteuerbescheid vom 10. Juni 2015 sei zwar fehlerhaft, weil er tatsächliche Einkommensteuernachzahlungen nicht als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigte. Eine materielle Rechtswidrigkeit durch Nichterfassung einzelner Besteuerungsgrundlagen mache den Bescheid aber nicht nichtig.

(FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 06.05.2020 zu Urteil vom 06.11.2019 – 7 K 940/18; Az. der Revision beim BFH: II B 91/19)

Verfassungsmäßigkeit der Verzinsung

Die Bundesregierung hält das geltende Recht der Verzinsung von Steueransprüchen beziehungsweise Nachzahlungen für verfassungsgemäß.

Dies sei gegenüber dem Bundesverfassungsgericht in den zwei anhängigen Verfahren zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes dargelegt worden, heißt es in der Antwort der Bundesregierung (19/18372) auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion (19/17998).

Darin wird auch erläutert, dass es sich bei Erstattungszinsen um steuerpflichtige Kapitalerträge handelt. Die Steuerpflicht der Erstattungszinsen sei gerechtfertigt, denn bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise handele es sich um einen Ertrag aus der Überlassung von Kapital. Die Zinszahlung erhöhe die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen und unterscheide sich nicht von anderen Formen der Darlehensgewährung. Nachzahlungszinsen dagegen seien nicht abzugsfähig, soweit sie zu den steuerlichen Nebenleistungen gehören würden. Sie seien damit wie andere privat veranlasste Schuldzinsen steuerlich nicht abziehbar.

Änderungen an diesen Regelungen plant die Bundesregierung nicht.

(Bundestag, hib-Meldung 448/2020 vom 30.4.2020)

Link zur ausführlichen Antwort der Bundesregierung (PDF)

Bon-Pflicht für Bäcker bleibt

Die Pflicht zur Ausgabe von Kassenbelegen für Bäckereien bleibt bestehen. Die FDP-Fraktion scheiterte im Finanzausschuss mit einem Vorstoß zur Abschaffung der seit Anfang Januar geltenden Pflicht zur Ausgabe von Kassenbelegen selbst bei kleinsten Einkäufen.

In der von der Vorsitzenden Katja Hessel (FDP) geleiteten Sitzung stimmten nur die Fraktionen von FDP und Bündnis 90/Die Grünen für den von der FDP-Fraktion eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung – Gesetz zur Verhinderung einer Bon-Pflicht für Bäcker (19/15768). Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Die Linke lehnten den Entwurf ab, die AfD-Fraktion enthielt sich. Der Entwurf sieht vor, dass die Finanzbehörden im Fall der Nutzung einer zertifizierten technischen Sicherheitseinrichtung beim Verkauf von Waren und der Erbringung von Dienstleistungen an eine Vielzahl von nicht bekannten Personen eine Befreiung von der Pflicht zur generellen Ausgabe von Belegen aussprechen können.

Die CDU/CSU-Fraktion wandte sich gegen die Aufhebung der Bon-Pflicht. Das sei nicht klug. Die Fraktion regte aber an, die Frist zur Einführung neuer Kassensysteme mit technischen Sicherheitseinrichtungen (TSE) zu verlängern, da es derzeit Probleme gebe, Fachfirmen für den Einbau zu finden. Außerdem zeigte sich die Fraktion offen für neue technische Möglichkeiten, um auf die Ausgabe von gedruckten Belegen verzichten zu können. Die SPD-Fraktion wandte sich allerdings gegen eine längere Frist für den TSE-Einbau. Es müssten auch nicht unbedingt immer Belege gedruckt werden. Stattdessen könnten die Kunden Belege über das Einlesen von QR-Codes erhalten. Im Übrigen verwies die SPD-Fraktion auf das durch die Corona-Pandemie veränderte Verbraucherverhalten. Immer mehr Menschen würden mit Karten bezahlen.

Die AfD- Fraktion stimmte einer Abschaffung der Bon-Pflicht grundsätzlich zu. Diese Pflicht betreffe nicht nur Bäcker, sondern alle Branchen seien betroffen. Die Linksfraktion hingegen lehnte den FDP-Vorstoß ab und wies darauf hin, dass die Bon-Pflicht nicht bedeute, dass stets Kassenbelege gedruckt werden müssten. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unterstützte den FDP-Antrag. Sie verlange Klarheit und Sicherheit für die Unternehmen.

Die FDP-Fraktion hatte darauf hingewiesen, dass mit Einführung der Belegausgabepflicht diese Belege größtenteils nicht von den Kunden mitgenommen, sondern direkt im Geschäft entsorgt werden. Dies führe zu einer erheblichen Zunahme von Abfall, der unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes vermeidbar wäre. Gerade die Nutzung von sogenanntem Thermopapier, dass Biphenol enthalte, sei auch unter Gesundheitsaspekten bedenklich.

(Deutscher Bundestag, hib-Meldung Nr. 472/2020 vom 06.05.2020)

Verluste aus dem entschädigungslosen Entzug von Aktien können steuerlich geltend gemacht werden

Werden (nach dem 31.12. 2008 erworbene) Aktien einem Aktionär ohne Zahlung einer Entschädigung entzogen, indem in einem Insolvenzplan das Grundkapital einer Aktiengesellschaft (AG) auf Null herabgesetzt und das Bezugsrecht des Aktionärs für eine anschließende Kapitalerhöhung ausgeschlossen wird, erleidet der Aktionär einen Verlust, der in entsprechender Anwendung von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 20 Abs. 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerlich geltend gemacht werden kann. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) gegen die Auffassung des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) entschieden. Das BMF war dem Revisionsverfahren beigetreten.

Im Streitfall hatte die Klägerin am 14.02.2011 und am 16.01.2012 insgesamt 39 000 Namensaktien einer inländischen AG zu einem Gesamtkaufpreis von 36.262,77 Euro erworben. Im Streitjahr 2012 wurde über das Vermögen der AG das Insolvenzverfahren eröffnet. In einem vom Insolvenzgericht genehmigten Insolvenzplan wurde gemäß § 225a Abs. 2 der Insolvenzordnung (InsO) das Grundkapital der AG auf Null herabgesetzt und eine Kapitalerhöhung beschlossen, für die ein Bezugsrecht der Klägerin und der übrigen Altaktionäre ausgeschlossen wurde. Der börsliche Handel der Altaktien wurde eingestellt. Da die Klägerin für den Untergang ihrer Aktien keinerlei Entschädigung erhielt, entstand bei ihr ein Verlust in Höhe ihrer ursprünglichen Anschaffungskosten. Das Finanzamt weigerte sich, diesen Verlust zu berücksichtigen.

Das sah der BFH anders und gab der Klägerin Recht. Er beurteilte den Entzug der Aktien in Höhe von 36.262,77 Euro als steuerbaren Aktienveräußerungsverlust. Dieser Verlust sei nach den Beteiligungsquoten auf die Gesellschafter der Klägerin zu verteilen.

Zur Begründung führte der BFH aus, dass der Untergang der Aktien keine Veräußerung darstelle und auch sonst vom Steuergesetz nicht erfasst werde. Das Gesetz weise insoweit aber eine planwidrige Regelungslücke auf, die im Wege der Analogie zu schließen sei. Die in § 225a InsO geregelte Sanierungsmöglichkeit sei erst später eingeführt worden, ohne die steuerliche Folgen für Kleinanleger wie die Klägerin zu bedenken. Es widerspreche den Vorgaben des Gleichheitssatzes des Grundgesetzes in seiner Konkretisierung durch das Leistungsfähigkeits- und Folgerichtigkeitsprinzip, wenn der von der Klägerin erlittene Aktienverlust steuerlich nicht berücksichtigt werde, wirtschaftlich vergleichbare Verluste (z.B. aufgrund eines Squeeze-Out oder aus einer Einziehung von Aktien durch die AG) aber schon.

(BFH, Pressemitteilung Nr. 21 vom 30.4.2020 zu Urteil vom 3.12.2019 – VIII R 34/16)

Ergebnisse der Lohnsteuer-Außenprüfung und Lohnsteuer-Nachschau im Kalenderjahr 2019

Nach den statistischen Aufzeichnungen der obersten Finanzbehörden der Länder haben die Lohnsteuer-Außenprüfungen im Kalenderjahr 2019 zu einem Mehrergebnis von 810,2 Mio Euro geführt.

Von den insgesamt 2.564.642 Arbeitgebern wurden 89.905 Arbeitgeber abschließend in 2019 geprüft. Es handelt sich hierbei sowohl um private Arbeitgeber als auch um öffentliche Verwaltungen und Betriebe. Im Kalenderjahr 2019 wurden durchschnittlich 1.963 Prüfer eingesetzt.

Darüber hinaus haben sich 41 Lohnsteuerprüfer des Bundeszentralamts für Steuern im Rahmen der Prüfungsmitwirkung an Prüfungen der Landesfinanzbehörden beteiligt, von denen 176 im Jahr 2019 abgeschlossen wurden.

(Bundesfinanzministerium, Mitteilung vom 27.4.2020)

Unterbrechung des Freiwilligen Sozialen Jahres wegen Krankheit führt nicht zum Verlust des Kindergeldanspruchs

Die Unterbrechung des Freiwilligen Sozialen Jahres wegen Krankheit führt nicht zum Verlust des Kindergeldanspruchs. Dies hat das Hessische Finanzgericht entschieden.

Geklagt hatte ein grundsätzlich kindergeldberechtigter Vater, dessen Tochter nach Abschluss des Gymnasiums ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) begann. Im Laufe des kommenden Jahres verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Kindes, welches bereits seit seiner eigenen Schulzeit an Bulimie und Anorexie litt, derart, dass es das FSJ zu Ende Mai 2018 kündigte und sich in stationäre Behandlung begab. Im Anschluss daran absolvierte es weiter ein FSJ bei einem anderen Träger.

Im Hinblick auf die Ableistung des FSJ im Anschluss an die Schulzeit erhielt der Kläger zunächst Kindergeld für das Kind. Da die Dauer dieses FSJ bis Ende August 2018 geplant war, hob die beklagte Familienkasse die Kindergeldfestsetzung ab Juni 2018 auf. Die Familienkasse vertrat die Auffassung, es läge keine Unterbrechung der Ausbildung vor, da das Kind das FSJ abgebrochen habe.

Der Kläger war der Ansicht, das Kind habe die Ausbildung nur krankheitsbedingt unterbrochen.

Das Hessische Finanzgericht gab der Klage statt. Es sei im Hinblick auf den Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, der die Berücksichtigung von Kindern in Ausbildung regelt, allgemein anerkannt, dass für die Zeit einer Erkrankung weiterhin Anspruch auf Kindergeld bestehe. Dies entspreche der von der Rechtsprechung angewandten Gesetzesauslegung und sei nicht lediglich eine Billigkeitsmaßnahme der Verwaltung. Dieser Grundsatz könne auf den Fall einer Erkrankung während eines Freiwilligendienstes i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d EStG übertragen werden.

Unerheblich sei dabei auch, dass das Kind das FSJ bei einem anderen Träger fortgesetzt habe. Für das Gericht sei im Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht zweifelhaft gewesen, dass das Kind stets die Absicht gehabt habe, das FSJ nach seiner Genesung fortzusetzen.

(FG Hessen, Mitteilung vom 23.04.2020 zu Urteil vom 29.01.2020 – 9 K 182/19; Revision beim BFH: Az. III R 15/20)