Nutzungsersatz für Zins- und Tilgungsleistungen führt zu Kapitaleinkünften

Wird ein Verbraucher-Darlehensvertrag wegen fehlender Belehrung widerrufen, führt ein für bereits erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen von der Bank an den Darlehensnehmer gezahlter Nutzungsersatz bei diesem zu Kapitalerträgen. Dies hat der 3. Senat des Finanzgerichts Münster entschieden.

Die Kläger nahmen im Jahr 2004 ein Wohnungsbaudarlehen bei einer Bank auf und erbrachten zehn Jahre lang Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von insgesamt ca. 110.000 Euro. Im Jahr 2015 widerriefen sie den Darlehensvertrag unter Verweis auf eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung. Daraufhin verklagten die Kläger die Bank auf Zahlung eines Betrages in Höhe von ca. 77.000 Euro, den sie aus der Differenz zwischen der an die Bank geleisteten Zahlungen und des Rückzahlungsanspruchs, jeweils zuzüglich Zinsen, errechneten. Vor dem Oberlandesgericht schlossen die Parteien einen Vergleich, mit dem sich die Bank verpflichtete, an die Kläger als Entschädigung für die Nutzung der Zins- und Tilgungsleistungen einen Betrag von 15.000 Euro abzüglich etwa anfallender Kapitalertragsteuer zu zahlen.

Die Bank unterwarf diesen Betrag dem Kapitalertragsteuerabzug und zahlte lediglich die Differenz an die Kläger aus. Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung gaben die Kläger an, dass es sich hierbei nicht um Kapitalerträge, sondern um die Rückzahlung von Zinsen und Tilgungen handele. Zudem hätten die Kläger insgesamt keinen Überschuss erwirtschaftet, sondern im Ergebnis lediglich geringere Zinsen gezahlt. Dem folgte das Finanzamt nicht und behandelte die 15.000 Euro als Kapitaleinnahmen.

Die hiergegen erhobene Klage ist erfolglos geblieben. Der 3. Senat des Finanzgerichts Münster hat ausgeführt, dass die Entschädigungszahlung der Bank einen Kapitalertrag darstelle. Nach der im Streitfall geltenden Zivilrechtslage habe sich das Darlehensverhältnis durch den Widerruf in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis umgewandelt. Die wechselseitigen Rückgewähransprüche der Vertragsparteien stünden grundsätzlich unabhängig nebeneinander. Dabei stelle der Nutzungsersatz für die von den Klägern erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen ein Entgelt für eine Kapitalüberlassung dar. Dies entspreche auch der zivilrechtlichen Wertung, wonach der Verbraucher so gestellt werde, als habe er eine verzinsliche Wertanlage getätigt. Da die wechselseitigen Ansprüche nicht gegeneinander aufgerechnet werden dürften, stehe der Besteuerung nicht entgegen, dass die Kläger aus dem Widerruf per Saldo keinen Überschuss erzielt hätten. Schließlich sei unerheblich, dass es sich nicht um wiederkehrende oder laufende Leistungen gehandelt habe, da auch einmalige Leistungen als Einnahmen aus Kapitalvermögen erfasst würden.

Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen.

FG Münster, Mitteilung vom 15.02.2022 zum Urteil 3 K 2991/19 vom 13.01.2022 (nrkr)

Berichtigung der als Vorsteuer abgezogenen Einfuhrumsatzsteuer bei Insolvenzanfechtung

Der 15. Senat des Finanzgerichts Münster hat entschieden, dass der Vorsteuerabzug für Einfuhrumsatzsteuer zu berichtigen ist, wenn die Einfuhrumsatzsteuer aufgrund einer Insolvenzanfechtung an die Insolvenzmasse zurückgezahlt wird.

Die Klägerin, eine AG, ist eine operativ tätige Holdinggesellschaft. Für die Monate Januar und Februar 2019 entrichtete sie die ihr gegenüber vom Hauptzollamt festgesetzte Einfuhrumsatzsteuer und zog diese in gleicher Höhe als Vorsteuer im Rahmen ihrer Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Im April 2019 wurde über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren unter Anordnung der Eigenverwaltung eröffnet. Nach Anfechtung der Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer durch den Sachwalter erstattete das Hauptzollamt die für Januar und Februar 2019 entrichteten Beträge im Oktober 2019 an die Insolvenzmasse. Das Finanzamt kürzte daraufhin den Vorsteuerabzug für Oktober 2019 gegenüber der Klägerin. Hiergegen wandte die Klägerin ein, dass der Rechtsgrund für die Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer nicht durch die Insolvenzanfechtung entfallen sei und das Hauptzollamt die Forderung zur Insolvenztabelle angemeldet habe. Maßgeblich für den Vorsteuerabzug sei hinsichtlich der Einfuhrumsatzsteuer nur deren Entstehung, nicht aber die Entrichtung.

Dem ist der 15. Senat des Finanzgerichts Münster nicht gefolgt und hat die Klage abgewiesen. Der aufgrund der angeordneten Eigenverwaltung zutreffend an die Klägerin selbst gerichtete Bescheid sei im Hinblick auf die Kürzung des Vorsteuerabzugs richtig. Nach § 17 Abs. 3 Satz 1 UStG sei ein Vorsteuerabzug für Einfuhrumsatzsteuer unter anderem dann zu berichtigen, wenn die Einfuhrumsatzsteuer erstattet worden ist. Bei unionsrechtskonformer Auslegung sei unter „Erstattung“ der tatsächliche Vorgang der Rückzahlung zu verstehen. Dies entspreche auch dem Sinn und Zweck der Regelung, das Gleichgewicht zwischen Steuer und Vorsteuer zu gewährleisten. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei es nicht erforderlich, dass die ursprüngliche Zahlung der Einfuhrumsatzsteuer ohne Rechtsgrund erfolgt sei. Auf diese Weise werde dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität am besten zur Geltung verholfen, denn durch eine doppelte Entlastung von der Einfuhrumsatzsteuer bestünde e in Wettbewerbsvorteil.

Im Streitfall sei die Klägerin von der ursprünglichen Belastung mit Einfuhrumsatzsteuer aufgrund der Insolvenzanfechtung wieder entlastet worden. Durch die Korrektur des Vorsteuerabzugs entstehe kein erneuter Vorsteuerabzug der wieder aufgelebten Einfuhrumsatzsteuer. Insoweit entfalte § 17 UStG, der ein in sich abgeschlossenes Regelungssystem beinhalte, eine Sperrwirkung.

Der Senat hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen. Diese ist dort unter dem Aktenzeichen XI R 7/22 anhängig.

FG Münster, Mitteilung vom 15.02.2022 zum Urteil 15 K 3144/20 vom 07.12.2021 (nrkr – BFH-Az.: XI R 7/22)

Vorsteuerabzug aus Aufwendungen für Trikotsponsoring

Der 11. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat über die Frage entschieden, ob im Rahmen der Umsatzsteuerfestsetzung Vorsteuerbeträge aus dem Erwerb von Sportbekleidung mit Werbeaufdrucken (sog. Trikotsponsoring) abzugsfähig sind.

Der Kläger betrieb eine Fahrschule. Er hatte in den Streitjahren Sportbekleidung mit dem Werbeaufdruck „Fahrschule X“ erworben und die Trikots verschiedenen Vereinen in der Region rund um seine Fahrschule unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Es handelte sich vor allem um Jugendmannschaften in unterschiedlichen Sportarten.

Nach einer Außenprüfung wurden die entsprechenden Aufwendungen vom Finanzamt nicht steuermindernd berücksichtigt. Zur Begründung führte es an, dass die Spiele der fraglichen Mannschaften vor allem solche im Jugendbereich beträfen, die kaum Publikum anziehen würden. Es sei deshalb davon auszugehen, dass die Aufdrucke keine nennenswerte Werbewirkung erzielen würden. Das Überlassen der Sportbekleidung sei deshalb dem ideellen Bereich zuzuordnen, die Vorsteuer also nicht abziehbar.

Der 11. Senat folgte diesem Vorbringen des Finanzamts nicht und gab dem Kläger Recht.

Richtig sei zwar, dass die Jugendmannschaften in aller Regel nicht vor Publikum spielten; bei deren Spielen seien vorwiegend Betreuer und ggf. einige Eltern mit anwesend. Darauf komme es jedoch nicht an, denn die jugendlichen Sportler seien zumeist im Alter von 15 bis 20 Jahren und demgemäß gerade die Zielgruppe, die der Kläger mit seiner Fahrschule ansprechen möchte. Erfahrungsgemäß nähmen junge Leute im Alter ab 16 oder 17 Jahren heutzutage zumeist die Möglichkeit zum Erwerb einer Fahrerlaubnis in Anspruch.

Die Verwendung der Trikots mit dem Werbeaufdruck stelle deshalb eine Dienstleistung der Vereine dar und damit eine Gegenleistung für die Überlassung der Sportbekleidung. Ob die Vereine eine Versteuerung dieser Leistungen vorgenommen hätten, sei – so das Gericht – für die hier maßgebliche Frage des Vorsteuerabzugs des leistenden Unternehmers unerheblich und nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits.

FG Niedersachsen, Mitteilung vom 16.02.2022 zum Urteil 11 K 200/20 vom 03.01.2022

Corona-Wirtschaftshilfen werden als Absicherungsinstrument bis Ende Juni 2022 verlängert

Gemäß dem Beschluss der Konferenz der Regierungschefinnen und -chefs der Länder mit der Bundesregierung am 16.2.2022 sind sich Bund und Länder einig, die Corona-Wirtschaftshilfen als Absicherungsinstrument bis Ende Juni 2022 zu verlängern. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und das Bundesministerium der Finanzen haben sich auf die Verlängerung verständigt. Die bewährten Programmbedingungen der Überbrückungshilfe IV werden fortgesetzt. Die ergänzenden Programme der Neustarthilfe für Soloselbstständige und Härtefallhilfen werden parallel zur Überbrückungshilfe IV verlängert. Bund und Länder haben sich zudem dazu bekannt, dass sie alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um den kriminellen Missbrauch der Wirtschaftshilfen zu verhindern, damit sichergestellt ist, dass die Hilfen dort ankommen, wo sie benötigt werden.

Die Überbrückungshilfe IV wird bis Ende Juni 2022 verlängert. Unternehmen erhalten über die Überbrückungshilfe IV weiterhin eine anteilige Erstattung von Fixkosten. Zusätzlich zur Fixkostenerstattung erhalten Unternehmen, die im Rahmen der Corona-Pandemie besonders schwer betroffen sind, einen Eigenkapitalzuschuss.

Ebenfalls fortgeführt wird die bewährte Neustarthilfe für Soloselbstständige. Mit der „Neustarthilfe 2022 Zweites Quartal“ können Soloselbstständige bis Ende Juni 2022 weiterhin pro Monat bis zu 1.500 Euro an direkten Zuschüssen erhalten, insgesamt für den verlängerten Förderzeitraum April bis Juni 2022 also bis zu 4.500 Euro.

Die FAQ zur Überbrückungshilfe IV und „Neustarthilfe 2022“ werden zeitnah überarbeitet. Nach Anpassung des Programms kann die Antragstellung über die bekannte Plattform ueberbrueckungshilfe-unternehmen.de erfolgen.

Die Förderbedingungen im Einzelnen

Die verlängerte Überbrückungshilfe IV wird unverändert fortgesetzt bis Ende Juni 2022.

Grundlegende Antragsvoraussetzung ist weiterhin ein coronabedingter Umsatzrückgang von 30 Prozent im Vergleich zum Referenzzeitraum 2019. Der maximale Fördersatz der förderfähigen Fixkosten beträgt 90 Prozent bei einem Umsatzrückgang von über 70 Prozent. Auch die umfassenden förderfähigen Fixkosten bleiben unverändert. So können weiterhin die Kosten für Miete, Pacht, Zinsaufwendungen für Kredite, Ausgaben für Instandhaltung, Versicherungen usw. geltend gemacht werden.

Für Soloselbstständige steht auch weiterhin die Neustarthilfe zur Verfügung. Je nach Höhe des coronabedingten Umsatzausfalls stehen über die „Neustarthilfe 2022 Zweites Quartal“ bis zu 1.500 Euro pro Monat zur Verfügung, also bis zu 4.500 Euro für den verlängerten Förderzeitraum April bis Juni 2022. Die „Neustarthilfe 2022 Zweites Quartal“ richtet sich weiterhin an die Betroffenen, die coronabedingte Umsatzeinbußen verzeichnen, aber aufgrund geringer Fixkosten kaum von der Überbrückungshilfe IV profitieren. Wie bisher können neben Soloselbstständigen (mit oder ohne Personengesellschaften) auch kurz befristet Beschäftigte in den Darstellenden Künsten, unständig Beschäftigte aller Branchen sowie Kapitalgesellschaften und Genossenschaften antragsberechtigt sein. Auch die „Neustarthilfe 2022 Zweites Quartal“ wird als Vorschuss ausgezahlt und muss je nach Umsatzentwicklung im Förderzeitraum anteilig zurückgezahlt werden. Sie wird nicht auf die Grundsicherung angerechnet.

BMF, Pressemitteilung vom 16.02.2022

Verlängerung der Übergangsfrist für Reverse-Charge-Verfahren bis Ende 2025

Die EU-Kommission schlägt vor, die Übergangsfrist für das Reverse-Charge-Verfahren bei der Umsatzsteuer bis zum 31.12.2025 zu verlängern. Dazu muss die Mehrwertsteuersystemrichtlinie geändert werden, berichtet der Deutsche Steuerberaterverband e.V. (DStV).

„Nothing is more permanent than the temporary”. Nichts hält eben länger als das Provisorium. Diese Binsenweisheit scheint auch für das Reverse-Charge-Verfahren bei der Umsatzsteuer zu gelten. Mit ihrem neuen Vorschlag will die EU-Kommission die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten erneut verlängern, die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft anzuwenden. Mit dem Reverse-Charge-Verfahren soll der Betrug bei der Lieferung bestimmter betrugsanfälliger Gegenstände bzw. der Erbringung bestimmter Dienstleistungen bekämpft werden. Die in Art. 199a der Mehrwertsteuersystemrichtlinie festgesetzte Befristung war ursprünglich nur bis zum Jahr 2015 vorgesehen, dann bis zum Jahr 2018 und wurde dann noch einmal bis zum 30.06.2022 verlängert. Nun soll also die Verlängerung bis zum 31.12.2025 erfolgen.

Der DStV hat in seinem Beitrag „DStV zum Koavertrag: Reverse-Charge-Verfahren“ die Vorteile der Umkehr der Steuerschuldnerschaft bei der Umsatzsteuer aufgezeigt. Er begrüßt deshalb die erneute Verlängerung der Übergangsfrist, fordert aber zugleich, dass das Reverse-Charge-Verfahren fest im lange angekündigten, endgültigen Mehrwertsteuersystem der EU verankert wird.

Die EU-Kommission gibt sich zuversichtlich, dass der Verlängerungszeitraum bis Ende 2025 ausreichend ist, damit das endgültige Mehrwertsteuersystem bis dahin in Kraft treten kann. Doch wurde bereits zuvor mit demselben Argument die Verlängerungsfrist bis zum 30.06.2022 festgelegt. Deshalb hat die EU-Kommission für den Fall, dass das endgültige Mehrerststeuersystem noch länger auf sich warten lässt, schon mal angekündigt, dass die Übergangsfrist in diesem Fall noch einmal verlängert werden könnte. Frei nach dem Motto: „Nothing is more permanent than the temporary”.

DStV, Mitteilung vom 14.02.2022

LSG Celle schließt Gesetzeslücke bei Elterngeld

Das Berufsleben von Kameraleuten beim Film besteht häufig aus befristeten Engagements. Hierzu hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) entschieden, dass Mütter bei der Elterngeldberechnung nicht benachteiligt werden dürfen, wenn sie wegen der Schwangerschaft keine neue Beschäftigung bekommen.

Geklagt hatte eine Kameraassistentin aus dem Landkreis Harburg. Sie verdiente ihren Lebensunterhalt durch Zeitverträge bei Filmproduktionen. Bis zum nächsten Engagement war sie jeweils arbeitslos. Nachdem sie im Jahre 2017 schwanger wurde, durfte sie nicht mehr arbeiten und bezog Arbeitslosengeld.

Nach der Geburt ihres Kindes berechnete der Landkreis das Elterngeld der Mutter, wobei er für die letzten fünf Monate ein Arbeitseinkommen von 0,00 € zugrunde legte. Er verwies darauf, dass nach dem Gesetz lediglich Einkommensausfälle wegen Krankheit ausgeklammert werden dürften.

Dem hielt die Frau entgegen, dass sie wegen der körperlichen Belastungen während der Schwangerschaft nicht arbeiten dürfe. Denn bei der Arbeit gebe es neben Tragebelastungen beim Umbau von Kamera und Stativ auch Nachtarbeit und tägliche Arbeitszeiten bis zu 13 Stunden. In der Folge erhalte sie nicht – wie vom Gesetzgeber gewollt – Elterngeld auf Grundlage der letzten 12 Arbeitsmonate, sondern nur 7/12 des eigentlichen Betrags.

Das LSG hat zur Berechnung auf die letzten 12 Arbeitsmonate abgestellt und hierzu die gesetzlichen Krankheitsregelungen analog angewandt. Es hat die erweiterte Gesetzesauslegung mit dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag werdender Mütter begründet, die einen Anspruch auf Schutz und Fürsorge durch die Gemeinschaft hätten. Der Gesetzgeber habe den Fall von abhängigen Kettenbeschäftigungen übersehen, in welchem eine neue Beschäftigung aus Gründen des Arbeitsschutzes nicht in Betracht komme. Das „besondere gesundheitliche Risiko“ Schwangerer dürfe ihnen bei der Berechnung des Elterngeldes nicht zum Nachteil gereichen. Dabei sei eine schwangerschaftsbedingte Erkrankung nur ein Teil des Risikos, das sich auch in anderen Bereichen auswirken könne.

LSG Celle, Pressemitteilung vom 14.2.2022 zu Urteil vom 24.01.2022 – L 2 EG 4/20

Umsatzsteuerverfahren: Mehr als 100.000 Versandhändler aus dem Ausland neu registriert

Die Umsatzbesteuerung von Online-Versandunternehmen mit Sitz außerhalb der EU stieß lange Zeit auf erhebliche praktische Probleme. In den vergangenen Jahren konnte die Berliner Steuerverwaltung infolge geänderter Gesetzgebung große Fortschritte erzielen und hat jetzt eine wichtige Wegmarke erreicht: Nach einer aktuellen Auswertung wurden bis Ende Januar mehr als 100.000 Umsatzsteuerkonten eröffnet, die zu Unternehmen aus der Ländergruppe mit dem stärksten Wachstum gehören. Diese umfasst die Volksrepublik China (inkl. der Sonderverwaltungsregion Hongkong und der Sonderverwaltungsregion Macau) und Taiwan.

Die Statistik der letzten Jahre verdeutlicht den Erfolg der Berliner Steuerverwaltung, aber auch das erhebliche Wachstum der internationalen Warenströme im Online-Handel. Bis zum 1.1.2019 gab es rund 7.800 Registrierungen zur Umsatzbesteuerung von Unternehmen aus der entsprechenden Ländergruppe. Bis zum 1.1.2021 waren es rund 49.000 Unternehmen. Allein im vergangenen Jahr hat sich die Zahl der Fälle abermals verdoppelt. Das Umsatzsteueraufkommen aus diesen Fällen belief sich im Jahr 2021 auf einen erheblichen dreistelligen Millionenbetrag, der Bund und Ländern zugutekommt.

Berlin ist im Zuge der Arbeitsteilung der Länder zuständig für Neuregistrierungen umsatzsteuerpflichtiger Unternehmen aus mehr als einhundert Staaten. Aus der Volksrepublik China kommen innerhalb dieser Gruppe die weitaus meisten Unternehmen. Innerhalb der Berliner Steuerverwaltung ist das Finanzamt Neukölln zuständig.

Zum Anstieg der Fälle hat eine Änderung des Umsatzsteuergesetzes zum 1.1.2019 wesentlich beigetragen. Sie verpflichtet Betreiber elektronischer Schnittstellen – also beispielsweise von Online-Handelsplattformen –, den Steuerbehörden Angaben zu machen über die liefernden Unternehmen. Die Betreiber haften zudem unter bestimmten Voraussetzungen für die von Onlinehändlern nicht entrichtete Umsatzsteuer.

Finanzsenator Daniel Wesener: “Ich bedanke mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Finanzamt Neukölln für ihre herausragende Arbeit, aber auch für die gute Kooperation mit den betroffenen Unternehmen. Das Beispiel zeigt, dass die Steuerverwaltung sehr wohl mit globalen Entwicklungen wie der Digitalisierung und neuen Geschäftsmodellen Schritt halten kann, wenn die gesetzlichen und administrativen Voraussetzungen dafür bestehen. Damit leistet Berlin einen wichtigen Beitrag zur Einnahmeentwicklung der öffentlichen Haushalte und zur Steuergerechtigkeit, auch zugunsten anderer Bundesländer.”

Senatsverwaltung für Finanzen Berlin, Pressemitteilung Nr. 22-004 vom 9.2.2022

Zur Anerkennung von Verlusten nach § 17 Abs. 4 EStG und bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Zusammenhang mit der Auflösung einer Kapitalgesellschaft

Der 14. Senat des FG Düsseldorf hatte über die Anerkennung von Verlusten im Zusammenhang mit der Auflösung einer Kapitalgesellschaft zu urteilen.

Der Kläger war mit 50 % am Stammkapital einer, zusammen mit seinem Bruder gegründeten, GmbH beteiligt. In den ersten Jahren nach Gesellschaftsgründung wurden verschiedene Bankdarlehen der GmbH durch selbstschuldnerische Bürgschaften des Klägers besichert. Nachdem über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, trafen der Kläger und sein Bruder mit den Gläubigern der GmbH diverse Zahlungs- und Verzichtsvereinbarungen. Darin verpflichteten sie sich jeweils gesamtschuldnerisch zur Zahlung von Teilbeträgen, wohingegen die Gläubiger auf den Einzug der Restforderung verzichteten.

Der Kläger behandelte seine Zahlungen in erster Linie als nachträgliche Anschaffungskosten auf seine Beteiligung. Dagegen argumentierte das beklagte Finanzamt, dass die Bürgschaften und sonstige Sicherheiten des Klägers bereits vor Eintritt der Krise gestellt worden seien und die späteren Zahlungen infolge der Wertlosigkeit etwaiger Rückgriffsansprüche bei Kriseneintritt wertmäßig nicht mehr in die Verlustberechnung einzustellen seien.

Das Finanzgericht Düsseldorf hat der Klage mit Urteil vom 11.11.2021 teilweise stattgegeben.

Dabei berücksichtige der 14. Senat als Auflösungsverlust im Rahmen des § 17 Abs. 4 EStG nur die ursprünglich vom Kläger eingezahlte Stammeinlage. Hinsichtlich der weiteren Zahlungen seien zwar die bisherigen Grundsätze zur Berücksichtigung von nachträglichen Anschaffungskosten auf eine wesentliche Beteiligung – entsprechend der vom Bundesfinanzhof getroffenen Vertrauensschutzregelung – weiterhin anwendbar. Allerdings habe der Senat nicht feststellen können, inwieweit es sich bei den Bürgschaften um eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfen gehandelt habe.

Daneben hätten die Leistungen des Klägers auf Grund der Zahlungs- und Verzichtsvereinbarungen aber jeweils zu (Regress)Forderungen gegen seine GmbH geführt. Deren Ausfall sei als Verlust bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen. Dabei griff der Senat die jüngste Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zum endgültigen Ausfall privater Darlehensforderungen und der diesbezüglich (widerlegbaren) Vermutung einer Einkünfteerzielungsabsicht auf. Schlussendlich greife für die zugesprochenen Verluste aus Kapitalvermögen keine Verlustausgleichs- oder Abzugsbeschränkung, weil der Kläger mit mehr als 10 % an der GmbH beteiligt gewesen sei.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Das Finanzamt hat gegen das Urteil Revision eingelegt, die unter dem Az. IX R 2/22 beim Bundesfinanzhof anhängig ist.

FG Düsseldorf, Mitteilung vom 10.02.2022 zu Urteil vom 11.11.2021 – 14 K 2330/19

Verzinsung von Steuernachforderungen und -erstattungen: Reformvorschläge des DStV

Bis Ende Juli 2022 muss sie stehen – die neue Regelung zur Vollverzinsung (§§ 233a, 238 AO) für die Verzinsungszeiträume ab 2019. Ein paar Monate bleiben noch – aber die Uhr tickt. Der DStV regt in seiner Stellungnahme eine bürokratiearme Lösung an.

Die Aussage des Bundesverfassungsgerichts war eindeutig: In Folge der Finanzkrise 2008 habe sich ein strukturelles Niedrigzinsniveau entwickelt. Insofern sei ein monatlicher Zins von 0,5 % evident realitätsfern, um potenziell erzielbare Liquiditätsvorteile auszugleichen (vgl. Beschluss v. 08.07.2021, 1 BvR 2237/14).

Der Deutsche Steuerberaterverband e.V. (DStV) regte in seiner Stellungnahme S 02/22 eine möglichst bürokratiearme Lösung an. Unter anderem schlug er Folgendes vor:

Anknüpfen an Basiszinssatz

Aus Sicht des DStV sollte die neue Zinsregelung transparent langfristige Zinsentwicklungen abbilden und einer gewissen Kontinuität unterliegen. Vor diesem Hintergrund sprach er sich für ein Anknüpfen der Neuregelung an einen variablen Zinssatz aus. Konkret regte der DStV an, die Verzinsung zugunsten wie zulasten dynamisch an den Basiszinssatz nach § 247 BGB anzupassen.

Die halbjährliche Aktualisierung des Basiszinssatzes darf jedoch aus Gründen der Praxistauglichkeit nicht zu einer halbjährlichen Zinsanpassung führen. Vielmehr sollte eine Anpassung nur jahresbezogen erfolgen.

Änderungskorridor für erhöhte Planungssicherheit

Eine gewisse Beständigkeit und damit Planungssicherheit für die Praxis muss sein. Eine Anpassung des Zinssatzes zum Folgejahr sollte aus Sicht des DStV daher erst dann erfolgen, wenn dessen Änderung zum 01.07. den Korridor von 0,5 %-Punkten über- bzw. unterschreitet – verglichen zum jeweils geltenden Zinssatz. Im Falle eines negativen Basiszinssatzes oder eines, der bei null liegt, sollte die Zinshöhe – ohne Berücksichtigung des Korridors – auf 0 % gedeckelt sein.

Zeitliche Begrenzung des Zinslaufs

Gerade Zinsen im Rahmen von Außenprüfungen belasten kleine und mittlere Unternehmen mitunter sehr. Steuerpflichtige bzw. ihre Beraterinnen und Berater können die zu erwartende Zahllast spätestens mit der Schlussbesprechung hinreichend bestimmen. Bis die endgültigen Steuerbescheide eintreffen, müssen sie sich jedoch mitunter gedulden. Und das, während der Zinslauf läuft und läuft und läuft und die Zinslast entsprechend steigt. Daher regt der DStV an, eine gesetzliche Grundlage dafür zu schaffen, dass die von Steuerpflichtigen bereits im Rahmen von Betriebsprüfungen geleisteten Vorauszahlungen den Zinslauf stoppen.

Ungeachtet dessen spricht er sich für eine generelle Begrenzung des Zinslaufs auf vier Jahre aus. Dies könnte die Motivation der Finanzverwaltung erhöhen, die Betriebsprüfungen deutlich näher an die betroffenen Veranlagungszeiträume zu ziehen. Frühere Planungs- und Rechtssicherheit sowie Bürokratieabbau wären die Folge und ein positiver Nebeneffekt.

Deutscher Steuerberaterverband e.V., Mitteilung vom 10.2.2022

Kindergeld für volljährige Kinder, die krankheitsbedingt ihre Ausbildung abbrechen

Wie der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden hat, ist eine Kindergeldgewährung wegen Berufsausbildung des Kindes nicht mehr möglich, wenn das Ausbildungsverhältnis wegen einer Erkrankung des Kindes nicht nur unterbrochen, sondern beendet wurde. Handelt es sich um eine nur vorübergehende Erkrankung und ist das Kind nachweislich weiter ausbildungswillig, kann es als ausbildungsplatzsuchendes Kind berücksichtigt werden.

Die Klägerin ist die Mutter einer im Februar 1994 geborenen Tochter, die im Februar 2016 eine zweijährige schulische Ausbildung begann. Die Familienkasse gewährte daher zunächst Kindergeld. Im Herbst 2017 erfuhr die Familienkasse, dass die Tochter bereits im März 2017 von der Schule abgegangen war und ab September eine Vollzeitbeschäftigung aufgenommen hatte. Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung daher ab April 2017 auf. Die Klägerin legte verschiedene Atteste vor, mit denen sie nachzuweisen versuchte, dass ihre Tochter nur aufgrund einer Erkrankung die Schule nicht mehr weiter habe besuchen können. Der Familienkasse genügte dies nicht. Sie forderte eine alle sechs Monate zu erneuernde ärztliche Bescheinigung, aus der sich die Erkrankung und deren voraussichtliches Ende ergeben. Außerdem ging sie davon aus, dass die Tochter schon im April 2017 gegenüber der Familienkasse hätte erklären müssen, dass sie sich zum nächstmöglichen Zeitpunkt um eine Berufs- oder Schulausbildung bewerben werde. Das Finanzgericht gab der dagegen gerichteten Klage für die Monate April bis September 2017 statt und ging dabei davon aus, dass sich die Tochter weiter in Ausbildung befunden habe.

Dagegen hielt der BFH die Revision der Familienkasse für begründet. Für volljährige Kinder, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, kommt gemäß § 32 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes ein Kindergeldanspruch u.a. dann in Betracht, wenn sie sich in Berufsausbildung befinden, sich vergeblich um einen Ausbildungsplatz bemühen oder sich wegen einer Behinderung nicht selbst unterhalten können. Eine Berücksichtigung als in Ausbildung befindliches Kind setzt voraus, dass das Ausbildungsverhältnis weiter besteht. Hieran fehlt es, wenn das Kind, wie im Streitfall, während der Ausbildung erkrankt und das Ausbildungsverhältnis durch Abmeldung von der Schule, Kündigung oder Aufhebungsvertrag beendet wird. In einem solchen Fall kommt eine Berücksichtigung als ausbildungsplatzsuchendes Kind in Betracht. Das setzt allerdings voraus, dass es sich um eine vorübergehende, d.h. ihrer Art nach voraussichtlich nicht länger als sechs Monate dauernde Krankheit handelt. Außerdem muss nachgewiesen werden, dass das Kind trotz vorübergehender Ausbildungsunfähigkeit weiterhin ausbildungswillig ist. Bei voraussichtlich länger als sechs Monate andauernder Erkrankung kommt eine Berücksichtigung als behindertes Kind in Betracht. Dem Finanzgericht wurde daher für den zweiten Rechtsgang aufgegeben, nähere Feststellungen dazu zu treffen, ob die Tochter als ausbildungsplatzsuchendes oder behindertes Kind berücksichtigt werden kann.

BFH, Pressemitteilung vom 10.2.2022 zu Urteil vom 21.08.2021 – III R 41/19