Laufzeitbezogene Betrachtungsweise bei Leasingsonderzahlungen im Rahmen der Ermittlung der anteiligen unternehmerischen Nutzung eines Kfz

Im beim 3. Senat des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts geführten Verfahren 3 K 1/20 wegen Einkommensteuer 2013 war u. a. streitig, in welcher Höhe eine im Dezember 2013 geleistete Leasingsonderzahlung für einen teils privat und teils zu unternehmerischen Zwecken genutzten Pkw als Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten abzugsfähig ist.

Der Kläger schloss im Jahr 2013 einen Leasingvertrag über einen Mercedes Benz ML 350 mit einer Laufzeit von 36 Monaten. Die Auslieferung des Fahrzeugs erfolgte Anfang Dezember 2013. Der Kläger leistete eine Leasingsonderzahlung von 36.490,88 Euro zzgl. 6.933,27 Euro Umsatzsteuer. Im Dezember 2013 nutzte der Kläger das Fahrzeug zu rund 71 % für seine selbstständige Tätigkeit, zu rund 13 % im Rahmen seiner Vermietungstätigkeit und im Übrigen privat. Im gesamten Leasingzeitraum Dezember 2013 bis Dezember 2016 nutzte der Kläger das Fahrzeug (hingegen lediglich) zu 12,16 % für seine selbstständige Tätigkeit und zu 6,24 % für seine Vermietungstätigkeit. Der Kläger begehrte für 2013, die Leasingsonderzahlung ausgehend von einem beruflichen Nutzungsanteil von insgesamt 84 % zum Betriebsausgaben- bzw. Werbungskostenabzug zuzulassen.

Nach Auffassung des 3. Senats des Finanzgerichts gehört die bei Leasingbeginn erbrachte Sonderzahlung zwar in Höhe der anteiligen unternehmerischen Nutzung des Pkw zu den sofort abziehbaren Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten. Bei der Höhe der anteiligen unternehmerischen Nutzung sei aber auf eine laufzeitbezogene Betrachtungsweise abzustellen. Daher sei die Leasingsonderzahlung im Jahr 2013 lediglich (entsprechend dem laufzeitbezogenen Anteil der unternehmerischen Nutzung) in Höhe von 12,16 % bei den Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit und in Höhe von 6,24 % bei den Vermietungseinkünften abzugsfähig.

(FG Schleswig-Holstein, Mitteilung vom 30.06.2021 zu Urteil vom 23.11.2020 – 3 K 1/20; BFH-Az.: VIII R 1/21)

Zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung von Gutachtertätigkeiten im Auftrag des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat entschieden, dass Leistungen einer Gutachterin, die im Auftrag des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Gutachten zur Pflegebedürftigkeit von Patienten erstellt, nach nationalem Recht nicht von der Umsatzsteuer befreit sind. Auch eine Steuerbefreiung nach dem Unionsrecht ist nicht zu gewähren.

Die Klägerin, eine ausgebildete Krankenschwester mit medizinischer Grundausbildung und akademischer Ausbildung im Bereich der Pflegewissenschaft sowie einer Weiterbildung in Qualitätsmanagement im Bereich der Pflege, erstellte für den MDK Niedersachsen Gutachten zur Pflegebedürftigkeit von Patienten. Die Leistungen rechnete der MDK monatlich ihr gegenüber ab, wobei er keine Umsatzsteuer auswies. Die Umsätze aus der Gutachtertätigkeit erklärte die Klägerin als steuerfrei, nahm jedoch den Vorsteuerabzug aus allen Eingangsleistungen ungekürzt in Anspruch. Das Finanzamt war allerdings der Auffassung, dass die Gutachtertätigkeit weder nach nationalem noch nach Unionsrecht umsatzsteuerfrei sei. Deshalb unterwarf es die Umsätze der Umsatzsteuer. Das Finanzgericht gab der dagegen gerichteten Klage statt.

Der BFH hob das stattgebende Urteil auf. Seiner Auffassung nach handelt es sich bei den im Rahmen der Gutachtertätigkeit erbrachten Leistungen zwar um eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem. Dabei schadet es nicht, dass die Klägerin ihre Leistungen nicht an den jeweiligen Hilfsbedürftigen, sondern an den MDK erbracht hat. Ein erfolgreiches Berufen auf die Steuerbefreiung nach dem Unionsrecht scheitert im Streitfall allerdings daran, dass die Klägerin nicht von der Bundesrepublik Deutschland als „Einrichtung mit sozialem Charakter“ anerkannt ist; eine solche Anerkennung, die Voraussetzung für die unionsrechtliche Steuerbefreiung ist, folgt insbesondere nicht aus der nur mittelbaren Kostenerstattung über den MDK.

(BFH, Pressemitteilung vom 01.07.2021 zu Urteil vom 24.02.2021 – XI R 30/20)

Energielieferungen sind keine Nebenleistungen zur steuerfreien Wohnungsvermietung

Durch den Vermieter an den Mieter erbrachte Energielieferungen sind nicht als Nebenleistungen zur steuerfreien Wohnungsvermietung, sondern als steuerpflichtige Hauptleistungen anzusehen.

Die Klägerin vermietet ein Grundstück, auf dem sich u. a. ein Haupthaus mit zwei Wohnungen befindet. Die Mieter leisten monatliche Vorauszahlungen für Heizung und Warmwasser, die jährlich (zum Teil nach Verbrauch und zum Teil nach Wohnfläche) abgerechnet werden. Im Streitjahr 2016 installierte die Klägerin eine neue Heizungsanlage für die Wohnungen im Haupthaus. Die Mieter erhielten die Möglichkeit, die Heizungs- und Wassertemperaturen individuell zu regulieren und bei Beschwerden den Anlagenhersteller direkt zu kontaktieren. Für jeden Mieter wurden eigene Einzelzähler zur Erfassung der Wärmemengen installiert.

Die Klägerin gab ab Oktober 2016 Umsatzsteuervoranmeldungen ab, mit denen sie auf die Kleinunternehmerregelung verzichtete, steuerpflichtige Umsätze aus den Energielieferungen an die Mieter angab und die Vorsteuern aus der Rechnung über die Installation der Heizungsanlage sowie den Gaslieferungen geltend machte, was im Ergebnis zu Erstattungsbeträgen führte. Das Finanzamt setzte demgegenüber die Umsatzsteuervorauszahlungen für Oktober bis Dezember 2016 auf jeweils 0 Euro fest, weil die Energielieferungen an die Mieter unselbstständige Nebenleistungen zu der steuerfreien Wohnungsvermietung darstellten. Während des Klageverfahrens erließ es einen Umsatzsteuerjahresbescheid für 2016 über ebenfalls 0 Euro.

Die Klage hatte weit überwiegend Erfolg. Der 5. Senat des Finanzgerichts Münster hat die Energielieferungen an die Mieter nicht als Teil der steuerfreien Vermietungsumsätze, sondern als eigenständige steuerpflichtige Leistungen angesehen. Dies folge daraus, dass die Energielieferungen gesondert abgerechnet werden und die Mieter den Verbrauch individuell regeln können. Dem stehe nicht entgegen, dass regelmäßig der Vermieter den Energieversorger auswählt und der Mieter hierauf keinen Einfluss habe. Auch der Umstand, dass die Nebenkosten teilweise nach Wohnfläche berechnet werden, führe nicht zur Annahme einer unserer ständigen Nebenleistung, da dies lediglich die Bemessung des Entgelts betreffe.

Der Senat hat jedoch aufgrund des Verzichts auf die Kleinunternehmerregelung auch die Energielieferungen für die Monate Januar bis September 2016 in die Bemessungsgrundlage einbezogen, was zu einer Minderung des Erstattungsbetrags geführt hat. Die Revision ist beim Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen V R 15/21 anhängig.

FG Münster, Mitteilung vom 15.06.2021 zum Gerichtsbescheid vom 06.04.2021 – 5 K 3866/18 U (BFH-Az.: V R 15/21)

Wirksame Einspruchsrücknahme am Tag der Bekanntgabe der verbösernden Einspruchsentscheidung außerhalb der Drei-Tages-Fiktion

Der 9. Senat des Niedersächsischen FG hat – soweit ersichtlich – als erstes Finanzgericht zu der Frage Stellung genommen, ob eine Einspruchsrücknahme (§ 362 Abs. 1 AO) auch dann noch bis zum Ablauf des Tages des tatsächlichen Zugangs der verbösernden Einspruchsentscheidung wirksam ist, wenn deren Bekanntgabe nach Ablauf der Drei-Tages-Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO erfolgt.

Zuvor hatte der Bundesfinanzhof bereits mit Urteil vom 26.02.2002 (Az. X R 44/00, BFH/NV 2002, 1409) entschieden, dass – bei Zugang der verbösernden Einspruchsentscheidung innerhalb der Drei-Tages-Bekanntgabefrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO – eine vorherige Kenntnis des Inhalts unschädlich und Rücknahme des Einspruchs noch bis zum Ablauf der Drei-Tages-Frist zulässig ist.

Im zugrunde liegenden Sachverhalt hatten die steuerlichen Berater des Klägers – nach vorheriger Androhung einer Verböserung durch das beklagte Finanzamt (FA) – den Einspruch am 22.10.2019 (Faxeingang beim FA um 18:57 Uhr) zurückgenommen. Nachdem das FA den Kläger auf die vermeintlich zuvor erfolgte Bekanntgabe mit Ablauf des drittens Tages nach der Aufgabe zur Post (21.10.2019) und die Unwirksamkeit der Rücknahme hinwiesen hatten, erbrachten die steuerlichen Berater den Nachweis, dass die Einspruchsentscheidung erst am 22.10.2019 tatsächlich in ihrem Büro eingegangen war. Der genaue Zeitpunkt des Zugangs innerhalb des Tages konnte nicht festgestellt werden. Das FA ging jedoch davon aus, dass der tatsächliche Zugang der Einspruchsentscheidung jedenfalls vor dem Eingang der Rücknahme erfolgt sein müsse und lehnte aufgrund dessen eine Aufhebung der Einspruchsentscheidung ab. Selbst bei Wirksamkeit der Rücknahme müsse die Einspruchsentscheidung bestehen bleiben, denn hierin sei gleichzeitig eine ändernde Festsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu sehen, die noch vor Ablauf der Festsetzungsverjährungsfrist erfolgt sei. Der Kläger vertrat dagegen die Auffassung, dass eine Rücknahme aus Gleichbehandlungsgründen auch bei Bekanntgabe außerhalb der Drei-Tages-Frist noch bis zum Ablauf des Zugangstages möglich sein müsse. In der verbösernden Einspruchsentscheidung sei zugleich kein Änderungsbescheid zu sehen. Ein solcher könne auch nicht mehr ergehen, weil die reguläre Festsetzungsfrist bereits abgelaufen und Festsetzungsverjährung nur wegen des zuvor noch laufenden Einspruchsverfahrens noch nicht eingetreten sei (§ 171 Abs. 3a AO).

Das Niedersächsische FG hat der Klage stattgegeben. Aus teleologischen, gesetzessystematischen und letztlich auch verfassungsrechtlichen Erwägungen heraus ist es aus Sicht des 9. Senats des FG geboten, § 362 Abs. 1 i. V. m. § 122 Abs. 2 AO so auszulegen, dass eine Rücknahme des Einspruchs zur Vermeidung einer verbösernden Einspruchsentscheidung auch dann noch bis zum Ablauf des Bekanntgabetages wirksam ist, wenn der tatsächliche Zugang außerhalb der Drei-Tages-Frist des § 122 Abs. 2 AO erfolgt. Der Senat geht davon aus, dass der Gesetzgeber in der Vorschrift des § 362 Abs. 1 AO, die die Rücknahme eines Einspruchs „bis zur Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch“ ermöglicht, durch die Bezugnahme auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe den Ablauf des Tages der Bekanntgabe gemeint hat und nicht den stunden-, minuten- und sekundengenauen Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs. Da die Verfahrensordnung ein Festhalten eines exakten Zugangszeitpunktes nicht vorsieht und dieses von den Beteiligten daher in der Regel auch nicht vorgenommen wird, würde eine andere Auslegung im Übrigen letztlich immer darauf hinauslaufen, dass im Konfliktfall eine Entscheidung über die Wirksamkeit der Rücknahme mangels tatsächlicher Feststellungen zu einer Beweislastfrage würde. Eine solche Gesetzesauslegung, die als Folge in der Rechtsanwendung nicht praktisch handhabbar ist und – abgesehen von krassen Ausnahmefällen – in Konfliktfällen nur zu Beweislastentscheidungen führen kann, kann – so das FG – gerade auch angesichts des Gesetzeszwecks des § 362 Abs. 1 AO nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen. Das FG hat schließlich ausgeschlossen, dass eine verbösernde Einspruchsentscheidung gleichzeitig ein Änderungsbescheid nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist.

Das Niedersächsische FG hat die Revision zugelassen, da die streitentscheidenden Rechtsfragen noch nicht Gegenstand der Finanzrechtsprechung gewesen sind (Revisionsaktenzeichen des BFH: IX R 16/21).

Zur ersten Tätigkeitsstätte eines Zeitsoldaten

Im Falle eines Zeitsoldaten hat das Hessische Finanzgericht dessen Bundeswehrstützpunkt einkommensteuerrechtlich als erste Tätigkeitsstätte angesehen und damit seine Klage im Wesentlichen abgewiesen.

Der Kläger hielt den Stützpunkt nicht für seine erste Tätigkeitsstätte. Er machte deshalb für Fahrten zwischen diesem und seiner Wohnung statt der Pendlerpauschale höhere Fahrtkosten nach Reisekostengrundsätzen geltend.

Das Gericht hat den begehrten höheren Werbungskostenabzug versagt. Für die Begründung einer ersten Tätigkeitsstätte ist es dem Urteil zufolge entscheidend, dass bereits die Einplanungsentscheidung der Bundeswehr eine Bestimmung des Stützpunktes vornimmt, dem der Kläger während seiner Tätigkeit dauerhaft zugeordnet ist. Unerheblich ist hingegen, dass der Kläger zum Beginn seiner Tätigkeit eine Eignungsübung an einem anderen Standort ableisten musste und die Versetzungsverfügung zum in Rede stehenden Stützpunkt der Anschlussverwendung eine „voraussichtliche Verwendungsdauer“ von 37 Monaten vorsah. Denn diese ist nach der Urteilsbegründung nicht als zeitliche Befristung, sondern lediglich als Verweis auf die Versetzungsbefugnis der Bundeswehr zu verstehen.

FG Hessen, Pressemitteilung vom 16.06.2021 zu Urteil vom 25.03.2021 – 4 K 1788/19; BFH-Az.: VI R 6/21

Keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Abzinsungssatz von 5,5 % für Verbindlichkeiten

Der 13. Senat des Finanzgerichts Münster hat in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entschieden, dass jedenfalls für das Jahr 2013 keine verfassungsrechtlichen Zweifel am Abzinsungssatz von 5,5 % für Verbindlichkeiten (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG) bestehen.

Die Antragstellerin, eine UG (haftungsbeschränkt), wies in ihrer Bilanz für das Streitjahr 2013 ein unverzinsliches Darlehen ihres Gesellschafters als Verbindlichkeit mit dem Nennwert aus. Das Finanzamt nahm demgegenüber eine Abzinsung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG vor, was im Körperschaftsteuer- und im Gewerbesteuermessbescheid zu einer entsprechenden Gewinnerhöhung führte. Hiergegen legte die Antragstellerin Einspruch ein, den sie mit der Verfassungswidrigkeit des Abzinsungssatzes aufgrund der lang andauernden Niedrigzinsphase begründete. Zugleich beantragte sie die Aussetzung der Vollziehung.

Bereits mit Beschluss vom 12. Oktober 2018 lehnte der 13. Senat des Finanzgerichts Münster den Aussetzungsantrag ab. Daraufhin wies das Finanzamt die Einsprüche als unbegründet zurück. Über die hiergegen erhobene Klage ist noch nicht entschieden. Mit ihrem erneuten Aussetzungsantrag verwies die Antragstellerin auf einen in einem vergleichbaren Fall ergangenen stattgebenden Beschluss des Finanzgerichts Hamburg vom 31. Januar 2019 (2 V 112/18).

Diesen Aussetzungsantrag hat der 13. Senat abgelehnt. Der erneute Antrag sei zwar zulässig, da der Beschluss des Finanzgerichts Hamburg einen veränderten rechtlichen Umstand darstelle, der nach § 69 Abs. 6 FGO eine erneute Überprüfung ermögliche.

Der Antrag sei jedoch unbegründet, da jedenfalls für das Streitjahr 2013 weiterhin keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Abzinsungssatzes von 5,5 % bestünden. Da die Abzinsung der Verbindlichkeit die Gewinne der folgenden Jahre der Restlaufzeit durch eine gegenläufige Aufzinsung mindere, bewirke § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG lediglich eine temporäre Gewinnverschiebung. Diese sei im Hinblick auf den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) am Maßstab der Willkürkontrolle zu überprüfen. Der typisierende Zinssatz von 5,5 % liege für das Streitjahr 2013 noch nicht so weit vom Marktzins entfernt, dass unter Berücksichtigung von Praktikabilitätsgesichtspunkten und Verwaltungsvereinfachungsgründen ein Verstoß gegen dieses Willkürverbot vorliege.

Der Auffassung des Finanzgerichts Hamburg, das die verfassungsrechtlichen Zweifel am Zinssatz von 6 % für Nachzahlungszinsen nach § 233a AO auf den Abzinsungssatz nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 EStG übertrage, ist der 13. Senat des Finanzgerichts Münster nicht gefolgt. Wegen der lediglich temporären Belastung seien weniger strenge verfassungsrechtliche Maßstäbe anzulegen. Der Senat hat allerdings im Hinblick auf die abweichende Rechtsprechung des Finanzgerichts Hamburg nachträglich die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen, die dort unter dem Aktenzeichen XI B 44/21 anhängig ist.

FG Münster, Mitteilung vom 15.06.2021 zu Beschluss vom 05.05.2021 – 13 V 505/21 (BFH-Az.: XI B 44/21)

Blockchain und Self-Sovereign Identity (SSI) in der Steuerverwaltung

Welches Potential Blockchain und SSI für die Steuerverwaltung bietet, hat das Bayerische Landesamt für Steuern (LfSt) im Rahmen einer Machbarkeitsstudie in Zusammenarbeit mit der Projektgruppe Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer FIT, dem Technologiepartner mgm technology partners und dem Lehrstuhl für Steuerrecht und Öffentliches Recht der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg untersucht.

Als Ergebnis wurde ein Konzept für ein innovatives Identitätsmanagementsystem entwickelt. Das White Paper der Projektgruppe Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik FIT kann über die Seite des LfSt Bayern heruntergeladen werden:

PDF „Einsatz der Blockchain-Technologie in der Steuerverwaltung“ (PDF, 57 Seiten, 11,9 MB)

Quelle: www.finanzamt.bayern.de

Verwendung einer Excel-Tabelle führt nicht zwingend zu einem Mangel der Kassenführung

Der 1. Senat des Finanzgerichts Münster hat entschieden, dass die Erfassung von Bareinnahmen in einer Excel-Tabelle bei Verwendung einer elektronischen Registrierkasse keinen Kassenführungsmangel darstellt, wenn ansonsten alle Belege in geordneter Form vorliegen.

Die Klägerin betrieb in den Streitjahren 2011 bis 2013 einen Irish Pub mit Getränke- und Speisenangebot. Sie ermittelte ihren Gewinn durch Bilanzierung und verwendete für die Erfassung der Bareinnahmen im Pub eine elektronische Registrierkasse. Die in den vollständig vorliegenden Z-Bons ausgewiesenen Einnahmen übertrug die Klägerin unter Ergänzung von Ausgaben und Bankeinzahlungen in eine Excel-Tabelle, mit der sie täglich den Soll- mit dem Ist-Bestand der Kasse abglich. Darüber hinausgehende Kassenberichte erstellte die Klägerin nicht.

Außerhalb des regulären Betriebs nahm die Klägerin auch an Sonderveranstaltungen teil, bei denen sie Erlöse aus dem Verkauf über Außentheken erzielte. Hierfür nutzte sie teilweise geliehene elektronische Registrierkassen, deren Einnahmen die Klägerin in der gleichen Form erfasste wie die Erlöse im Haus. Teilweise erfasste sie Bareinnahmen aber auch in offenen Ladenkassen, für die sie keine Kassenberichte führte. Die Einnahmen der Sonderveranstaltungen trug sie ebenfalls in die Excel-Tabelle ein.

Im Rahmen einer Betriebsprüfung beanstandete das Finanzamt – neben kleineren Mängeln, z. B. in Bezug auf die Verbuchung von Gutscheinen – insbesondere die Verwendung der Excel-Tabelle im Rahmen der Kassenführung. Wegen der jederzeitigen Änderbarkeit erfülle die Verwendung eines solchen Computer­programms nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Buchführung. Auf Grundlage einer überschlägigen Getränkekalkulation nahm es zu den erklärten Umsätzen von jährlich gut 300.000 Euro Sicherheitszuschläge zum Umsatz und Gewinn zwischen 15.000 Euro und 29.000 Euro pro Jahr vor. Hiergegen wandte die Klägerin ein, dass ihre Buchführung ordnungs­gemäß sei, da die Ursprungsaufzeichnungen (Z-Bons, Belege über EC-Kartenzahlungen und Ausgaben) unabänderlich seien.

Der 1. Senat des Finanzgerichts Münster hat der Klage überwiegend stattgegeben. Die Buchführung der Klägerin sei nur insoweit formell ordnungswidrig, als sie im Rahmen der Sonderveranstaltungen offene Ladenkassen ohne Führung täglicher Kassenberichte eingesetzt und die Gutscheine nicht ordnungsgemäß verbucht habe. Ein täglicher Kassenbericht, der auf der Grundlage eines Auszählens der Bareinnahmen erstellt wird, sei nur im Rahmen einer offenen Ladenkasse erforderlich. Soweit die Klägerin ihre Bareinnahmen in einer elektronischen Registrierkasse erfasst habe, seien die Kassenaufzeichnungen dagegen ordnungsgemäß. Hierfür genüge eine geordnete Ablage der Belege. Der tägliche Abgleich von Soll- und Ist-Bestand durch Nutzung einer Excel-Tabelle sei unschädlich, da ein derartiger Kassensturz nach den gesetzlichen Vorgaben nicht erforderlich sei. Da die einzelnen Mängel für jede verwendete Kasse gesondert zu beurteilen seien, wirke sich die mangelhafte Führung der offenen Ladenkasse nicht auf die Verwendung der elektronischen Registrierkassen aus.

Angesichts der nicht ordnungsgemäßen Kassenführung hinsichtlich der offenen Ladenkassen bei den Sonderveranstaltungen und der Gutscheine hat der Senat einen Sicherheitszuschlag i. H. v. 2.000 Euro pro Streitjahr als plausibel und wirtschaftlich realistisch erachtet. Die überschlägige Getränkekalkulation des Finanzamts könne nicht herangezogen werden, da es wegen der fehlenden Trennung der Getränkeeinkäufe andererseits nicht möglich sei, die Sonderveranstaltungen isoliert zu kalkulieren.

FG Münster, Mitteilung vom 15.06.2021 zu Urteil vom 29.04.2021 – 1 K 2214/17