BFH zweifelt an der Verfassungsmäßigkeit der Nachzahlungszinsen

Der Bundesfinanzhof zweifelt an der Verfassungsmäßigkeit von Nachzahlungszinsen für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2015. Er hat daher in einem summarischen Verfahren Aussetzung der Vollziehung (AdV) gewährt.

Die Entscheidung ist zu §§ 233a, 238 der Abgabenordnung (AO) ergangen. Danach betragen die Zinsen für jeden Monat einhalb Prozent einer nachzuzahlenden oder zu erstattenden Steuer. Allein bei der steuerlichen Betriebsprüfung vereinnahmte der Fiskus im Bereich der Zinsen nach § 233a AO in den letzten Jahren mehr als 2 Mrd. Euro.

Im Streitfall setzte das Finanzamt (FA) die von den Antragstellern für das Jahr 2009 zu entrichtende Einkommensteuer zunächst auf 159.139 Euro fest. Im Anschluss an eine Außenprüfung änderte das FA am 13. November 2017 die Einkommensteuerfestsetzung auf 2.143.939 Euro. Nachzuzahlen war eine Steuer von 1.984.800 Euro. Das FA verlangte zudem in dem mit der Steuerfestsetzung verbundenen Zinsbescheid für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis 16. November 2017 Nachzahlungszinsen in Höhe von 240.831 Euro. Die Antragsteller begehren die AdV des Zinsbescheids, da die Höhe der Zinsen von einhalb Prozent für jeden Monat verfassungswidrig sei. Das FA und das Finanzgericht lehnten dies ab.

Demgegenüber hat der BFH dem Antrag stattgegeben und die Vollziehung des Zinsbescheids in vollem Umfang ausgesetzt. Nach dem Beschluss des BFH bestehen im Hinblick auf die Zinshöhe für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2015 schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 233a AO i. V. m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO. Der BFH begründet dies mit der realitätsfernen Bemessung des Zinssatzes, die den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletze. Der gesetzlich festgelegte Zinssatz überschreite den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität erheblich, da sich im Streitzeitraum ein niedriges Marktzinsniveau strukturell und nachhaltig verfestigt habe.

Eine sachliche Rechtfertigung für die gesetzliche Zinshöhe bestehe bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht. Auf Grund der auf moderner Datenverarbeitungstechnik gestützten Automation in der Steuerverwaltung könnten Erwägungen wie Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung einer Anpassung der seit dem Jahr 1961 unveränderten Zinshöhe an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz i. S. des § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht mehr entgegenstehen. Für die Höhe des Zinssatzes fehle es an einer Begründung. Der Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht bestehe darin, den Nutzungsvorteil wenigstens zum Teil abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhalte, dass er während der Dauer der Nichtentrichtung über eine Geldsumme verfügen könne. Dieses Ziel sei wegen des strukturellen Niedrigzinsniveaus im typischen Fall für den Streitzeitraum nicht erreichbar und trage damit die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe nicht.

Es bestünden überdies schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel, ob der Zinssatz dem aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Übermaßverbot entspreche. Die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe wirke in Zeiten eines strukturellen Niedrigzinsniveaus wie ein rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung.

Der Gesetzgeber sei im Übrigen von Verfassungs wegen gehalten zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung zu der in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geregelten gesetzlichen Höhe von Nachzahlungszinsen auch bei dauerhafter Verfestigung des Niedrigzinsniveaus aufrechtzuerhalten sei oder die Zinshöhe herabgesetzt werden müsse. Dies habe er selbst auch erkannt, aber gleichwohl bis heute nichts getan, obwohl er vergleichbare Zinsregelungen in der Abgabenordnung und im Handelsgesetzbuch dahin gehend geändert habe.

(BFH, Pressemitteilung Nr. 23/18 vom 14.05.2018 zu Beschluss vom 25.04.2018 – IX B 21/18)

Schweiz übermittelt erstmals Informationen über Steuervorbescheide an Partnerstaaten

Die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) hat erstmals Informationen über Steuervorbescheide an die Partnerstaaten des spontanen Informationsaustausches (SIA) übermittelt.

Total hat die ESTV in einer ersten Tranche 82 Meldungen an insgesamt 41 Staaten übermittelt; darunter Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, die Niederlande und Russland. Gewisse Meldungen werden mit mehreren Partnerstaaten ausgetauscht. Betroffen sind Steuervorbescheide, die am 1. Januar 2018 noch wirksam waren.

Die Schweiz hat das Amtshilfeübereinkommen des Europarates und der OECD ratifiziert und sich im Rahmen des BEPS-Projekts verpflichtet, Meldungen über gewisse Steuervorbescheide unaufgefordert an die Partnerstaaten weiterzuleiten (Artikel 9 der Steueramtshilfeverordnung). Das heisst, jedes Land muss von sich aus die Steuervorbescheide und die Empfängerstaaten identifizieren und die Informationen den Partnerstaaten übermitteln (Artikel 10 und 13 der Steueramtshilfeverordnung). Die Partnerstaaten des Übereinkommens haben sich verständigt, den Inhalt von Steuervorbescheiden in Form eines Templates spontan auszutauschen. Die Steuervorbescheide selber werden nicht ausgetauscht.

In der Regel werden in der Schweiz Steuervorbescheide von den kantonalen Steuerverwaltungen erteilt. Die Kantone müssen diese an die ESTV weiterleiten. Die ESTV führt das Amtshilfeverfahren durch und übermittelt im Rahmen des SIA Rulingmeldungen an die Partnerstaaten.

(Eidgenössisches Finanzdepartement, Pressemitteilung vom 08.05.2018)

Sächsische Steuerfahndung spürte im Jahr 2017 fast 68 Millionen Euro auf

Bei einem Pressetermin im Finanzamt Leipzig II würdigte Sachsens Finanzminister Dr. Matthias Haß die Arbeit der sächsischen Steuerfahndung und stellte deren Arbeitsergebnisse für das Jahr 2017 vor. So hat die engagierte Arbeit der sächsischen Steuerfahnderinnen und Steuerfahnder dem Fiskus im vergangenen Jahr ein steuerliches Mehrergebnis von knapp 68 Millionen Euro eingebracht.

„Wer ehrlich seine Steuern zahlt, den wollen wir von Bürokratie entlasten. Wer aber unehrlich ist, der muss konsequent bestraft werden: Hier muss der Staat Stärke zeigen. Die sächsische Steuerfahndung als Kriminalpolizei in Steuersachen erfüllt in unserem Staat wichtige Aufgaben. Es darf nicht sein, dass Einzelne selbstgerecht entscheiden, welche Gesetze für sie gelten. Ohne Steuereinnahmen kann ein Staat nicht funktionieren. Für die konsequente Bekämpfung der Steuer- und Wirtschaftskriminalität und die Sicherung der Steuergerechtigkeit sind die sächsischen Steuerfahndungsstellen wirksame Einrichtungen“, betont der Finanzminister.

Über die Hälfte des im Jahr 2017 aufgedeckten Steuerschadens – in etwa 38 Millionen Euro – entfällt auf die Umsatzsteuer. Der zweitgrößte Anteil mit etwa 12,6 Millionen Euro ist der Einkommensteuer zuzurechnen. Die festgestellten Mehrergebnisse im Bereich der Körperschaftsteuer betragen ca. 1,2 Millionen Euro, hinsichtlich der Gewerbesteuer ca. 3,6 Millionen Euro und in Bezug auf die Lohnsteuer ca. 2,7 Millionen Euro. Schließlich schlagen noch sonstige Steuern (beispielsweise Erbschaft- und Schenkungssteuer, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer, Bauabzugsteuer, Grunderwerbsteuer) und Zinsen mit ungefähr 9,6 Millionen Euro zu Buche. Die meisten Steuermehrergebnisse konnten im Raum Leipzig aufgespürt werden.

Ermittlungstätigkeit. Gerade Wirtschaftsbereiche mit Bargeldstrukturen sind besonders anfällig für Steuerhinterziehung. An einem Glücksspielgerät zeigten die Steuerfahnder ihre Prüfungsmöglichkeiten. Sie führten vor, welche Manipulationen möglich sind, um Einnahmen zu verkürzen und woran diese erkannt werden.

Mit der Digitalisierung der Wirtschaft und Gesellschaft haben sich auch die Begehungsformen von Steuerhinterziehung geändert. Dies wurde anhand von vorgestellten Ermittlungsfällen aus den Bereichen des Internethandels sowie des grenzüberschreitenden Steuerbetruges deutlich. Die Steuerfahndung ist für diese Entwicklung gut aufgestellt.

Rund 100 Fahnderinnen und Fahnder waren im Jahr 2017 für die drei sächsischen Steuerfahndungsstellen im Einsatz. Sie führten insgesamt mehr als 1.200 Fahndungsprüfungen durch, die sich in ihrer Anzahl annähernd gleich auf die drei Finanzämter mit Steuerfahndungsstellen verteilen. Daneben haben die Fahnderinnen und Fahnder in insgesamt fast 900 Amts- und Rechtshilfeersuchen im Auftrag anderer Dienststellen ermittelt.

Die sächsische Steuerfahndung leitete im Jahr 2017 insgesamt über 400 Strafverfahren ein. Diese Verfahren werden von den Bußgeld- und Strafsachenstellen der Finanzämter bzw. den Staatsanwaltschaften weitergeführt.

In den von sächsischen Steuerfahndern ermittelten Fällen verhängten die Gerichte im Jahr 2017 Freiheitsstrafen von insgesamt über 72 Jahren und setzten Geldstrafen sowie Geldauflagen von mehr als einer Million Euro rechtskräftig fest.

(Sächsisches Staatsministerium der Finanzen, Medieninformation vom 23.4.2018)

Elektronische Vermögensbildungsbescheinigung (Frist für die Übermittlung und Härtefallregelung)

Mit BMF-Schreiben vom 16. Dezember 2016 (BStBl I Seite 1435) wurde das Verfahren der elektronischen Vermögensbildungsbescheinigung (§ 15 des 5. VermBG) gestartet. Die erstmalige Datenübermittlung hatte danach für die in 2017 angelegten vermögenwirksamen Leistungen spätestens bis zum 28. Februar 2018 zu erfolgen.

Das BMF-Schreiben vom 29. November 2017 (BStBl I Seite 1626) zur Anwendung des Fünften Vermögensbildungsgesetzes enthält weitere Regelungen (u. a. Härtefallregelung in Abschnitt 14 Abs. 7b).

Wie mitgeteilt wurde, haben es Arbeitgeber teilweise versäumt, die technischen Voraussetzungen für eine elektronische Datenübermittlung zu schaffen. Betroffen sind Fälle, in denen die vermögenswirksamen Leistungen beim Arbeitgeber selbst angelegt werden (§§ 5, 6 und 7 des 5. VermBG, Anlagearten 2 und 3) und damit der Arbeitgeber die mitteilungspflichtige Stelle ist.

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt hierzu Folgendes:

1. Frist für die Übermittlung der elektronischen Vermögensbildungsbescheinigung (§ 15 des 5. VermBG i. V. m. § 93c AO)

Vor dem Hintergrund der aufgetretenen Umsetzungsprobleme wird die Frist für die elektronische Übermittlung der elektronischen Vermögensbildungsbescheinigung einmalig für das Anlagejahr 2017 um sechs Monate verlängert. Die elektronischen Vermögensbildungsbescheinigungen für die in 2017 angelegten vermögenwirksamen Leistungen sind danach spätestens bis zum 31. August 2018 zu übermitteln. Dies gilt für alle mitteilungspflichtigen Stellen.

2. Härtefallregelung (Abschnitt 14 Abs. 7b des BMF-Schreibens vom 29. November 2017 [a. a. O.])

Die Tatsache, dass die Übermittlung der elektronischen Vermögensbildungsbescheinigung mit zusätzlichen Kosten und einem Umsetzungsaufwand für die mitteilungspflichtige Stelle verbunden ist, stellt, für sich gesehen, keinen Befreiungsgrund dar. Im Übrigen sind Anträge mit mehr als 100 zu übermittelnden Datensätzen grundsätzlich nicht als Härtefall genehmigungsfähig.

Werden die Daten der elektronischen Vermögensbildungsbescheinigung nicht elektronisch übermittelt oder erfolgt – nach einem positiv beschiedenen Härtefallantrag – keine schriftliche Mitteilung an die Zentralstelle für Arbeitnehmer-Sparzulage und Wohnungsbauprämie, kann das Betriebsstättenfinanzamt die Mitteilung mit Zwangsmitteln (§§ 328 ff. AO) durchsetzen.

Der „Nachweis der vermögenswirksam angelegten Leistungen in anderer Weise“ (s. Abschnitt 15 Abs. 3b des BMF-Schreibens 29. November 2017 [a. a. O.]) ist im Übrigen nur zulässig bei technischen Problemen im Zusammenhang mit einem eingerichteten System der Datenübermittlung.

Dieses BMF-Schreiben wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.

(BMF-Schreiben (koordinierter Ländererlass) vom 17.04.2018 – IV C 5 – S-2439 / 12 / 10001)

Vorläufiger Rechtsschutz gegen Verlustabzugsbeschränkung gem. § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG

Der 2. Senat des Finanzgerichts Hamburg hat dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 8c Satz 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) in der Fassung des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 (jetzt § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG) verfassungswidrig ist.

Nach § 8c Satz 2 KStG a. F. entfällt der Verlustvortrag einer Kapitalgesellschaft vollständig, wenn innerhalb von fünf Jahren mehr als 50 % der Anteile an der Gesellschaft übertragen werden. Im Anschluss daran hat der 2. Senat des FG Hamburg wegen jener Verfassungsfrage nunmehr durch Beschluss vom 11. April 2018 (Az. 2 V 20/18) auch vorläufigen Rechtsschutz gewährt. Es widerspricht damit der gegenwärtigen Verwaltungspraxis (im Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 15. Januar 2018, BStBl I 2018, 2, dort unter V. i. V. m. Abschnitt B der Anlage), wonach für eine Aussetzung der Vollziehung von Steuerbescheiden, die auf Basis des § 8c Satz 2 (§ 8c Abs. 1 Satz 2) KStG ergangen sind, kein Grund besteht.

Auch wenn ein Gericht von der Verfassungswidrigkeit einer Norm überzeugt ist und deshalb das BVerfG anruft, ist zwar nicht automatisch auch die Vollziehung des angefochtenen Bescheides auszusetzen. Denn bis zur endgültigen Entscheidung ist offen, ob das BVerfG die Norm, derentwegen es angerufen wird, tatsächlich für nichtig erklärt, und wenn ja, mit welchen Folgen, lediglich mit Wirkung für die Zukunft oder aber rückwirkend. Weil ein formell verfassungsgemäß zustande gekommenes Gesetz zunächst grundsätzlich weiterhin anzuwenden ist, muss die Interessenlage des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen das öffentliche, vornehmlich haushalterische Interesse abgewogen werden.

Das FG Hamburg hat dem Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hier den Vorrang eingeräumt. Im Rahmen der für die Aussetzungsentscheidung maßgeblichen „summarischen Prüfung“ sei eher zu erwarten, dass § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG nicht nur für die Zukunft, sondern auch rückwirkend für nichtig erklärt werde. Es liege insoweit nicht anders als bezogen auf die Vorschrift des § 8c Satz 1 (bzw. Abs. 1 Satz 1) KStG, die bei Anteilsübertragungen von mehr als 25 % einen quotalen Verlustuntergang anordnet. Das BVerfG hat durch Beschluss vom 29. März 2017 (Az. 2 BvL 6/11) entschieden, dass diese Rechtsfolge mit dem Grundgesetz unvereinbar ist und dass die festgestellte Unvereinbarkeit vorbehaltlich einer gesetzlichen Nachbesserung bis spätestens zum 31. Dezember 2018 rückwirkend eintritt. Das Fiskalinteresse, das der Gesetzgeber seinerzeit bei Einführung von § 8c KStG mit einer jährlichen Haushaltswirkung von 1,45 Mrd. Euro angegeben hatte, ändert in Anbetracht dessen an der Rückwirkung aus Sicht des FG Hamburg nichts.

Die Beschwerde an den Bundesfinanzhof wurde nicht zugelassen.

(FG Hamburg, Pressemitteilung vom 24.04.2018 zu Beschluss vom 11.04.2018 – 2 V 20/18)

Änderung eines Bescheids über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwerts wegen neuer Tatsachen

Verzichtet das Finanzamt gegenüber dem Steuerpflichtigen ausdrücklich auf die Abgabe einer förmlichen Feststellungserklärung und fordert ihn stattdessen zu bestimmten Angaben auf, verletzt es seine Ermittlungspflicht, wenn die geforderten Angaben für die Ermittlung des für die Grundbesitzbewertung maßgebenden Sachverhalts nicht ausreichen und es keine weiteren Fragen stellt.

Erfüllt der Steuerpflichtige in einem solchen Fall seinerseits seine Mitwirkungspflichten, indem er die vom FA gestellten Fragen zutreffend und vollständig beantwortet, ist das Finanzamt nach „Treu und Glauben“ an einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) gehindert, wenn es später Kenntnis von steuererhöhenden Tatsachen erlangt. Damit grenzt der Bundesfinanzhof (BFH) die Möglichkeit der steuererhöhenden Bescheidänderung, „soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden“, ein.

Im Streitfall waren die Kläger zu drei gleichen Teilen Erben. Zum Erbe gehörten verschiedene Miet- und Geschäftsgrundstücke, die für die spätere Festsetzung der Erbschaftsteuer bewertet werden sollten. Das für die Bewertung zuständige FA forderte die Kläger auf, nähere Angaben zu den Grundstücken zu machen. Dieser Aufforderung kamen sie umfassend nach. Im Rahmen einer Außenprüfung wurden später weitere Tatsachen bekannt, die zu einer höheren Wertfeststellung führten. Daraufhin änderte das Finanzamt den Feststellungsbescheid. Einspruchs- und Klageverfahren blieben erfolglos, anders die Revision.

Nach Auffassung des BFH durfte das FA den bestandskräftigen Feststellungsbescheid nicht nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ändern. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Änderung eines Bescheids zum Nachteil des Steuerpflichtigen nach „Treu und Glauben“ ausgeschlossen, wenn dem FA die nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen bei ordnungsgemäßer Erfüllung der behördlichen Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wären. Dasselbe gilt, wie der BFH nun klarstellt, wenn das FA gegenüber dem Steuerpflichtigen ausdrücklich auf die Abgabe einer förmlichen Erklärung verzichtet und ihn stattdessen zu bestimmten Angaben auffordert. Beantwortet der Steuerpflichtige die gestellten Fragen zutreffend und vollständig, ist das FA an einer Änderung des Bescheids auch dann gehindert, wenn es zuvor falsche oder unzutreffende Fragen an den Steuerpflichtigen gestellt hat.

Ein weiterer Aspekt der Entscheidung betraf die Frage, ob der Feststellungsbescheid nach Ablauf der Feststellungsfrist überhaupt noch geändert werden durfte. Dies ist zwar nicht von vornherein ausgeschlossen (s. § 181 Abs. 5 Satz 1 AO), kann aber nicht auf einen „Vorbehalt der Nachprüfung“ (§ 164 Abs. 2 AO) gestützt werden.

(BFH, Pressemitteilung Nr. 21 vom 25.4.2018 zu Urteil vom 29.11.2017 – II R 52/15)

Umsatzsteuerpflicht bei Fahrschulen zweifelhaft

Umsatzsteuerpflicht bei Fahrschulen zweifelhaft

Der Bundesfinanzhof zweifelt an der Umsatzsteuerpflicht für die Erteilung von Fahrunterricht zum Erwerb der Fahrerlaubnisklassen B („Pkw-Führerschein“) und C1. Er hat dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) daher die Frage vorgelegt, ob Fahrschulen insoweit steuerfreie Leistungen erbringen.

Im Streitfall war die Klägerin unterrichtend zum Erwerb der Fahrerlaubnisklassen B (Kraftwagen mit einer zulässigen Gesamtmasse von höchstens 3 500 kg und zur Beförderung von nicht mehr als acht Personen außer dem Fahrzeugführer) und C1 (ähnlich wie Fahrerlaubnis B, aber bezogen auf Fahrzeuge mit einer Gesamtmasse von nicht mehr als 7 500 kg) tätig. Die Klägerin hatte für ihre Leistungen keine Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis erteilt.

Nach nationalem Recht sind Unterrichtsleistungen zur Erlangung dieser Fahrerlaubnisse steuerpflichtig. Fahrschulen sind insoweit keine allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtungen, wie es von § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb des Umsatzsteuergesetzes vorausgesetzt wird. Im Streitfall fehlte es zudem an der dort genannten berufs- oder prüfungsvorbereitenden Bescheinigung.

Mit dem Vorabentscheidungsersuchen des BFH soll geklärt werden, ob der Fahrschulunterricht zum Erwerb der Fahrerlaubnisklassen B und C1 aus Gründen des Unionsrechts steuerfrei ist. Im Bereich der Umsatzsteuer hat der nationale Gesetzgeber die Bindungen der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) zu beachten. Setzt das nationale Recht eine Steuerfreiheit der Richtlinie nur ungenügend um, besteht für den Steuerpflichtigen die Möglichkeit, sich auf die Richtlinie zu berufen. Entscheidend ist für den Streitfall daher, dass nach der Richtlinie Unterricht, den sog. anerkannte Einrichtungen oder Privatlehrer erteilen, von der Steuer zu befreien ist (Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL). Weitgehend identische Vorgängerbestimmungen gelten bereits seit 1979 mit verbindlicher Wirkung.

Im Streitfall bejaht der BFH den Unterrichtscharakter der Fahrschulleistung. Die zusätzlich erforderliche Anerkennung könne sich daraus ergeben, dass der Unterrichtende die Fahrlehrerprüfung nach § 4 des Gesetzes über das Fahrlehrerwesen abgelegt haben muss. In Betracht komme auch eine Steuerfreiheit als Privatlehrer. Die Auslegung der Richtlinie sei aber zweifelhaft, so dass eine Entscheidung des EuGH einzuholen sei.

Der Vorlagebeschluss des BFH ist in einem sog. Revisionsverfahren ergangen, in dem es um die Rechtmäßigkeit von Steuerbescheiden geht. Nicht zu entscheiden war über eine Aussetzung der Vollziehung (AdV) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Eine AdV ist bereits bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit von Steuerbescheiden möglich. Kommt es in einem Revisionsverfahren zu einer Vorlage an den EuGH, ist dies im Allgemeinen zu bejahen.

Die nunmehr vom EuGH zu treffende Entscheidung ist von erheblicher Bedeutung für die Umsatzbesteuerung der über 10 000 Fahrschulen in der Bundesrepublik Deutschland. Sollte der EuGH eine Steuerfreiheit bejahen, wird sich die Anschlussfrage stellen, ob Fahrschulen den sich hieraus ergebenden Vorteil zivilrechtlich an ihre Kunden durch eine geänderte Preisbildung weitergeben.

(BFH, Pressemitteilung Nr. 49 vom 26.7.2017 zu Beschluss vom 16.3.2017 – V R 38/16)

Kindergeld bis zum Abschluss des angestrebten Berufsziels

Kindergeld bis zum Abschluss des angestrebten Berufsziels

Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat entschieden, dass der Anspruch auf Kindergeld nicht schon dann endet, wenn das Kind (vor Erreichen des 25. Lebensjahres) einen ersten berufsqualifizierenden Abschluss erreicht hat, sondern erst dann, wenn das von Beginn an angestrebte Berufsziel einer mehraktigen Ausbildung erreicht ist.

Die Klägerin ist Mutter einer am 22. Dezember 1991 geborenen Tochter, die am 7. Juli 2015 die Abschlussprüfung im Ausbildungsberuf „Immobilienkauffrau“ bestand und ab Oktober 2015 an dem Lehrgang „geprüfter Immobilienfachwirt/geprüfte Immobilienfachwirtin“ der Industrie- und Handelskammer Koblenz (IHK) teilnahm. Voraussetzung für die Teilnahme an der Prüfung zur „geprüften Immobilienfachwirtin“ ist das Bestehen der Abschlussprüfung im Ausbildungsberuf „Immobilienkauffrau“ sowie eine mindestens einjährige Berufspraxis nach abgeschlossener Lehre. Deshalb war die Tochter der Klägerin ab Juli 2015 parallel zu ihrer Ausbildung bei der IHK in einem entsprechenden Ausbildungsbetrieb in Koblenz angestellt.

Mit Bescheid vom 29. Oktober 2015 lehnte die für die Kindergeldfestsetzung zuständige Familienkasse den Antrag der Klägerin auf Kindergeld für die Zeit ab August 2015 ab mit der Begründung, dass die Tochter bereits im Juli 2015 ihre erste Berufsausbildung abgeschlossen und sodann eine Erwerbstätigkeit aufgenommen habe. Deshalb könne die Ausbildung bei der IHK nicht berücksichtigt werden.

Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein und machte geltend, ihre Tochter habe das von Beginn an angestrebte Berufsziel „Immobilienfachwirtin“ noch nicht erreicht, das (u. a.) eine mindestens einjährige Berufspraxis in Vollzeit voraussetze.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin beim Finanzgericht Rheinland-Pfalz Klage, der stattgegeben wurde. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass die Erstausbildung der Tochter der Klägerin erst mit dem Abschluss der Prüfung zur „geprüften Immobilienfachwirtin“ ende, sodass bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres (= Dezember 2016) Kindergeld zu gewähren sei.

Zur Begründung verwies das Gericht auf die maßgebliche Rechtsgrundlage (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a Einkommensteuergesetz – EStG), wonach für ein über 18 Jahre altes Kind, das noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat, ein Anspruch auf Kindergeld besteht, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird. Eine solche erstmalige Berufsausbildung sei – so das Gericht – nicht bereits mit dem ersten (objektiv) berufsqualifizierenden Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang beendet. Denn es gebe Ausbildungsgänge, bei denen der erste Berufsabschluss lediglich integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs sei. Solche mehraktigen Ausbildungsmaßnahmen seien allerdings nur dann als Teil einer einheitlichen Erstausbildung zu qualifizieren, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt seien, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden solle und das von den Eltern und dem Kind bestimmte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden könne. Liege noch keine abgeschlossene erstmalige Berufsausbildung vor, komme es auf eine Erwerbstätigkeit des Kindes nicht an.

Im vorliegenden Fall sei die Erstausbildung der Tochter somit nicht schon mit dem erfolgreichen Abschluss im Ausbildungsberuf „Immobilienkauffrau“ beendet worden, sondern erst mit dem weiter qualifizierenden Abschluss „geprüfte Immobilienfachwirtin“. Denn dieses Berufsziel habe sie von Beginn an angestrebt, erst über den weiterführenden Abschluss Immobilienkauffrau“ erreichen können und unmittelbar nach dem Ende des ersten Ausbildungsabschnittes im Juli 2015 ohne Unterbrechung ab August 2015 fortgesetzt. Da ihre Erstausbildung nicht im Juli 2015 geendet habe, sei ihre Erwerbstätigkeit ab August 2015 unschädlich.

Kontext der Entscheidung

Heute gibt es zahlreiche Ausbildungswege („mehraktige Ausbildungsmaßnahmen“), die stets die Frage aufwerfen, ob mit dem Erreichen des ersten berufsqualifizierenden Abschlusses das Ausbildungsziel bereits erreicht ist. Denn sollte dies der Fall sein, kann es für den Weiterbezug von Kindergeld bei einer nachfolgenden Fortsetzung der Ausbildung entscheidend sein, ob und wenn ja in welchem Umfang das Kind (neben der Fortsetzung der Ausbildung) zugleich noch erwerbstätig ist. Nach Abschluss einer Erstausbildung sind nämlich nur bestimmte Formen der Erwerbstätigkeit unschädlich (maximal 20 Stunden wöchentlich oder Ausbildungsdienstverhältnis oder nur geringfügige Beschäftigung).

Zu der Thematik liegen bereits einige Entscheidungen des BFH vor, z. B. zum sog. dualen Studium, zum Masterstudium nach vorangegangenem Bachelorstudiengang, zum Besuch der Fachoberschule für Technik nach Ausbildung zum Elektroniker, zum Betriebswirt (VWA) als fachliche Ergänzung oder Vertiefung einer kaufmännischen Ausbildung im Gesundheitswesen. Der zuletzt genannte Fall (BFH-Urteil vom 4. Februar 2016 III R 14/15, BFHE 253, 145, BStBl II 2016, 615) ähnelt dem vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz entschiedenen Streit, allerdings mit einem wesentlichen Unterschied: In dem der BFH-Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt konnte das Kind nach der kaufmännischen Ausbildung nicht – wie im vorliegenden Fall – sogleich mit dem zweiten Ausbildungsabschnitt beginnen, sondern erst nach einer mindestens einjährigen Berufstätigkeit. Diese Berufstätigkeit – so der BFH – führe zu einem Einschnitt (Zäsur), der den notwendigen engen Zusammenhang zwischen den einzelnen Ausbildungsabschnitten entfallen lasse. Es liege daher nur ein die berufliche Erfahrung berücksichtigender Weiterbildungsstudiengang (Zweitausbildung) vor.

(FG Rheinland-Pfalz, Pressemitteilung vom 26.07.2017 zu Urteil vom 28.06.2017 – 5 K 2388/15; nrkr)

Ausbildung und Verkauf von Blindenführhunden begründet gewerbliche Tätigkeit

Ausbildung und Verkauf von Blindenführhunden begründet gewerbliche Tätigkeit

Die Ausbildung und der Verkauf von Blindenführhunden führt einkommensteuerrechtlich zu gewerblichen Einkünften. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden hat, handelt es sich nicht um eine freiberufliche Tätigkeit. Es fehlt an der hierfür erforderlichen „unterrichtenden“ oder „erzieherischen Tätigkeit“ i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG), die ein Tätigwerden gegenüber Menschen erfordert.

Im Streitfall betrieb die Klägerin eine Hundeschule und bildete jährlich drei bis fünf Hunde zu Blindenführhunden aus. Sie suchte gemeinsam mit dem sehbehinderten Menschen einen Hund aus und erwarb den Welpen auf eigene Rechnung. Nach der Ausbildung wurde der Hund von der Klägerin an den Sehbehinderten übergeben. Sie begleitete die Übergabephase, die mit einer Gespannprüfung abschloss. Diese wurde von einem von der Krankenkasse bestellten Gespannprüfer abgenommen. Nach der Prüfung veräußerte die Klägerin den Blindenführhund an die Krankenkasse des Sehbehinderten, die den Hund als medizinisches Hilfsmittel im Sinne des Sozialhilfegesetzes anerkannte. Das Finanzamt war der Auffassung, dass es sich bei den Einkünften der Klägerin aus dem Verkauf und der Ausbildung der Blindenführhunde um gewerbliche Einkünfte handelte und setzte den Gewerbesteuermessbetrag fest. Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg.

Der BFH bestätigte die Vorentscheidung des Finanzgerichts. Die Klägerin war nicht gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG freiberuflich, sondern gewerblich tätig. Der Begriff „unterrichtende“ oder „erzieherische Tätigkeit“ im Sinne dieser Vorschrift erfordert ein Tätigwerden gegenüber dem Menschen. Steuerrechtlich wird der Begriff des Unterrichts und der Erziehung von Menschen von der Dressur von Tieren unterschieden. Dies gilt auch dann, wenn die Ausbildung der Tiere in einer „Hundeschule“ erfolgt. Bei der Betreuung des sehbehinderten Menschen während der Übergabe des Hundes handelt es sich um eine der Ausbildung des Tieres untergeordnete Tätigkeit, so dass der gesamte Betrieb der Klägerin als gewerblich anzusehen ist.

Auch aus dem verfassungsrechtlich in Art. 20a des Grundgesetzes verankerten Tierschutz kann nicht der Schluss gezogen werden, dass die Ausbildung der Blindenführhunde dem Unterricht und der Erziehung von Menschen gleichzustellen ist. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Lieferung von ausgebildeten Blindenführhunden nach dem Umsatzsteuergesetz nur dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7 % unterliegt.

(BFH, Pressemitteilung Nr. 47 vom 19.7.2017 zu Urteil vom 9.5.2017 – VIII R 11/15)

ErbStG: Freibetrag für Kinder bei der Pflege ihrer Eltern

ErbStG: Freibetrag für Kinder bei der Pflege ihrer Eltern

Hat ein Kind einen pflegebedürftigen Elternteil zu Lebzeiten gepflegt, ist es berechtigt, nach dem Ableben des Elternteils bei der Erbschaftsteuer den sog. Pflegefreibetrag in Anspruch zu nehmen. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) entgegen der Verwaltungsauffassung entschieden hat, steht dem die allgemeine Unterhaltspflicht zwischen Personen, die in gerader Linie miteinander verwandt sind, nicht entgegen.

Im Streitfall war die Klägerin Miterbin ihrer Mutter. Diese war ca. zehn Jahre vor ihrem Tod pflegebedürftig geworden (Pflegestufe III, monatliches Pflegegeld von bis zu 700 €). Die Klägerin hatte ihre Mutter auf eigene Kosten gepflegt. Das Finanzamt (FA) gewährte den Pflegefreibetrag nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) in Höhe von 20.000 € nicht. Das Finanzgericht (FG) gab der hiergegen erhobenen Klage statt.

Der BFH bestätigte die Vorentscheidung des FG. Der Begriff „Pflege“ ist grundsätzlich weit auszulegen und erfasst die regelmäßige und dauerhafte Fürsorge für das körperliche, geistige oder seelische Wohlbefinden einer hilfsbedürftigen Person. Es ist nicht erforderlich, dass der Erblasser pflegebedürftig i.S. des § 14 Abs. 1 des Elften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XI a.F.) und einer Pflegestufe nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XI a.F. zugeordnet war.

Eine gesetzliche Unterhaltspflicht steht der Gewährung des Pflegefreibetrags nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG nicht entgegen. Dies folgt aus Wortlaut, Sinn und Zweck sowie der Historie der Vorschrift. Der Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG schließt gesetzlich Unterhaltsverpflichtete nicht von der Anwendung der Vorschrift aus. Weder aus der gesetzlichen Unterhaltspflicht nach §§ 1601 ff., § 1589 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) noch aus der Verpflichtung zu Beistand und Rücksicht zwischen Kindern und Eltern nach § 1618a BGB folgt eine generelle gesetzliche Verpflichtung zur persönlichen Pflege. Damit entspricht die Gewährung des Pflegefreibetrags auch für gesetzlich Unterhaltsverpflichtete dem Sinn und Zweck der Vorschrift, ein freiwilliges Opfer der pflegenden Person zu honorieren. Zudem wird der generellen Intention des Gesetzgebers Rechnung getragen, die steuerliche Berücksichtigung von Pflegeleistungen zu verbessern. Da Pflegeleistungen üblicherweise innerhalb der Familie, insbesondere zwischen Kindern und Eltern erbracht werden, liefe die Freibetragsregelung bei Ausschluss dieses Personenkreises nahezu leer.

Die Höhe des Freibetrags bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Vergütungssätze von entsprechenden Berufsträgern können als Vergleichsgröße herangezogen werden. Bei Erbringung langjähriger, intensiver und umfassender Pflegeleistungen -wie im Streitfall- kann der Freibetrag auch ohne Einzelnachweis zu gewähren sein.

Der Entscheidung des BFH kommt im Erbfall wie auch bei Schenkungen große Praxisrelevanz zu. Die Finanzverwaltung hat bislang den Freibetrag nicht gewährt, wenn der Erbe dem Erblasser gegenüber gesetzlich zur Pflege oder zum Unterhalt verpflichtet war (Erbschaftsteuer-Richtlinien 2011 R E 13.5 Abs. 1 Satz 2). Auf dieser Grundlage hatte das FA die Gewährung des Freibetrags auch im Streitfall verwehrt. Dem ist der BFH entgegengetreten. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass der Erbe den Pflegefreibetrag nach dem Urteil des BFH auch dann in Anspruch nehmen kann, wenn der Erblasser zwar pflegebedürftig, aber z.B. aufgrund eigenen Vermögens im Einzelfall nicht unterhaltsberechtigt war.

(BFH, Pressemitteilung Nr. 43 vom 05.07.2017 zu Urteil vom 10.5.2017 – II R 37/15)