Kein fiktiver Lohnsteuerabzug bei Grenzgängern

Das SG Saarbrücken hat entschieden, dass das Krankengeld eines echten Grenzgängers nicht auf der Grundlage eines um einen fiktiven Lohnsteuerbetrag verminderten Nettoarbeitsentgelts berechnet werden darf.

Der echte Grenzgänger unterliegt nach dem Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Frankreich (DBA) auch beim Bezug von Sozialleistungen der Besteuerung im Wohnsitzstaat. Wegen des nunmehr vorgesehenen besonderen Verfahrens des Grenzgängerfiskalausgleichs zahlt der zur Besteuerung berechtigte Staat dem Beschäftigungsstaat eine Entschädigung in Höhe eines Teils der erhobenen Steuer. Für einen auf Gesichtspunkten der Gleichbehandlung beruhenden, fiktiven Lohnsteuerabzug besteht daher kein Grund.

Das Urteil des SG ist noch nicht rechtskräftig.

SG Saarbrücken, Pressemitteilung vom 12.03.2022 zu Urteil vom 17.02.2022, Az. 20 KR 133/20

Gebäude: Kürzere Restnutzungsdauer kann durch Wertgutachten nachgewiesen werden

Wird im Rahmen eines Wertgutachtens die Restnutzungsdauer eines Gebäudes nach der Wertermittlungsverordnung bestimmt, kann diese der Berechnung des AfA-Satzes zugrunde gelegt werden. Dies hat der 1. Senat des Finanzgerichts Münster entschieden.

Der Kläger erwarb im Jahr 2011 im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens ein Grundstück mit einem im Jahr 1955 errichteten Gebäude, das er seitdem zur Erzielung von Mieteinkünften nutzte. Das Amtsgericht hatte im Zwangsversteigerungsverfahren ein Sachverständigengutachten zur Ermittlung des Grundstückswerts auf den Stichtag 17. Mai 2010 in Auftrag gegeben. Der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige machte in seinem Gutachten u. a. Angaben zum Modernisierungsstand und zu erforderlichen Instandsetzungsarbeiten und kam danach zu einem fiktiven Baujahr von 1960 und zu einer Restnutzungsdauer des Gebäudes von 30 Jahren. Dem Gutachten legte er die Regelungen der zum Stichtag gültigen Wertermittlungsverordnung (WertV) zugrunde.

Der Kläger machte in seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2012 bis 2016 eine jährliche AfA des Gebäudes von 3,33 % als Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung geltend. Das Finanzamt berücksichtigte demgegenüber lediglich einen AfA-Satz von 2 %, da das Gutachten weder eine kürzere technische Nutzungsdauer durch Darlegung eines materiellen Verschleißes der Rohbauelemente noch eine kürzere wirtschaftliche Nutzungsdauer im steuerrechtlichen Sinne belege. Die Ermittlung der Restnutzungsdauer im Sinne der WertV sei auf die steuerrechtliche Restnutzungsdauer nicht übertragbar, da sie nicht im Zusammenhang mit der gesetzlichen Typisierung der AfA-Regelung stehe.

Der 1. Senat des Finanzgerichts Münster hat der Klage in Bezug auf den AfA-Satz stattgegeben. Grundsätzlich sei ein Gebäude zwar nach festen AfA-Sätzen (im Streitfall 2 % pro Jahr) abzuschreiben. Bei einer tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer des Gebäudes als 50 Jahre könne aber nach Wahl des Steuerpflichtigen von entsprechend höheren Sätzen ausgegangen werden. Nach der BFH-Rechtsprechung (Urteil vom 28. Juli 2021 IX R 25/19) könne sich der Steuerpflichtige jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheine. Entgegen der Auffassung des Finanzamts sei hierfür kein Bausubstanzgutachten erforderlich. Da für die Schätzung einer kürzeren Restnutzungsdauer keine Gewissheit, sondern allenfalls eine größtmögliche Wahrscheinlichkeit erforderlich sei, könne die Schätzung des Steuerpflichtigen vielmehr nur dann verworfen werden, wenn sie eindeutig außerhalb eines angemessenen Schätzungsrahmens liege.

Nach Auffassung des Senats habe der Sachverständige aufgrund sachlicher Kriterien eine von der gesetzlichen Typisierung abweichende geringere Restnutzungsdauer von 30 Jahren ermittelt. Er habe fundierte Ausführungen zu den erforderlichen Instandsetzungsarbeiten und zum Zustand des Gebäudes gemacht. Die modellhafte Ermittlung der Restnutzungsdauer von 30 Jahren anhand der WertV sei für das Gericht nachvollziehbar und liege jedenfalls nicht (erheblich) außerhalb des zulässigen Schätzungsrahmens.

Das Urteil ist rechtskräftig.

FG Münster, Mitteilung vom 15.03.2022 zum Urteil 1 K 1741/18 E vom 27.01.2022 (rkr)

Anwaltlicher AdV-Antrag muss in elektronischer Form eingereicht werden

Das Finanzgericht Münster hat entschieden, dass ein von einem Rechtsanwalt lediglich per Telefax und nicht in der vorgeschriebenen elektronischen Form eingereichter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung unzulässig ist.

Die Antragstellerin stritt sich mit dem Finanzamt im Rahmen eines Einspruchsverfahrens über die Festsetzung eines Verspätungszuschlags. Am 2. Januar 2022 reichte sie – anwaltlich vertreten – per Telefax einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheids bei Gericht ein. Nach Antragstellung erließ das Finanzamt eine Einspruchsentscheidung, gegen die die Antragstellerin Klage erhob. Das Klageverfahren ist noch anhängig.

Der 8. Senat des Finanzgerichts Münster hat den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt. Er sei unzulässig, weil er nicht als elektronisches Dokument übermittelt worden sei. Seit dem 1. Januar 2022 schreibe § 52d Satz 1 FGO vor, dass schriftlich einzureichende Anträge, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln seien. Diesen Anforderungen genüge ein Telefax, unabhängig davon, ob es über das Telefonnetz oder als Computerfax übersandt werde, nicht.

Unabhängig davon sei der in § 52a Abs. 3 FGO vorgeschriebene, elektronische Übermittlungsweg nicht eingehalten worden. Danach müsse das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sein und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Die sicheren Übermittlungswege seien im Gesetz abschließend aufgezählt. Hierunter fiele insbesondere das besondere elektronische Anwaltspostfach nach § 31a BRAO, nicht aber das Telefax.

FG Münster, Pressemitteilung vom 15.03.2022 zum Beschluss 8 V 2/22 vom 22.02.2022

Sog. Cum-Ex-Geschäfte: Übergang des wirtschaftlichen Eigentums beim Handel mit Aktien

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat über sog. Cum-Ex-Aktiengeschäfte entschieden. Mit seinem Urteil erteilt er einem „Geschäftskonzept“ eine Absage, das Unsicherheiten bei der eindeutigen wirtschaftlichen Zuordnung von Aktien in der Weise „nutzen“ wollte, dass eine einmal einbehaltene Abzugsteuer vom Fiskus möglicherweise zweifach oder sogar mehrfach angerechnet oder ausgezahlt wird.

Nach dem Urteil des BFH hat ein US-amerikanischer Pensionsfonds einen Anspruch auf Erstattung von Abzugsteuer (Kapitalertragsteuer/Solidaritätszuschlag) gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nur dann, wenn er nach Maßgabe nationalen Steuerrechts Gläubiger der Kapitalerträge ist und die Abzugsteuer „einbehalten und abgeführt“ worden ist. Gläubiger der Kapitalerträge ist dabei die Person, die die Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt (§ 20 Abs. 5 EStG); dies ist die Person, der die Anteile an dem Kapitalvermögen im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG) oder des Zuflusses der Dividendenkompensationszahlung (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG) nach § 39 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) zivilrechtlich oder – wenn ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über die Anteile hat – nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO wirtschaftlich zuzurechnen sind. Wirtschaftliches Eigentum über die Anteile wird bei sog. Cum-Ex-Geschäften mit Aktien allerdings nicht erworben, wenn der Erwerb der Aktien Teil eines modellhaft aufgelegten Gesamtvertragskonzepts ist, nach welchem der Erwerber die wesentlichen mit einem Aktienerwerb verbundenen Rechte weder ausüben kann noch nach der gestalterischen Konzeption soll, er vielmehr nur die Funktion hat, seine (aufgrund Abkommensrechts gestaltungsermöglichende) Rechtsform in den Geschäftsablauf einzubringen und angesichts der umfassenden Kontrolle jedes Geschäftsdetails durch Dritte lediglich als „passiver Teilnehmer“ („Transaktionsvehikel“) im Geschäftsablauf anzusehen ist. Ob sich die maßgebenden Transaktionen „außerbörslich“ (Erwerb von sog. Single Stock Futures mit nachfolgender Abwicklung über die Eurex Clearing AG) oder „börslich“ (im Rahmen sog. Schlussauktionen) abgespielt haben, ist ohne Bedeutung.

Der im Streitfall klagende und nach dem zwischenstaatlichen Abkommensrecht von einer inländischen Abzugsteuer befreite Pensionsfonds begehrte die Steuererstattung, da er kurz vor dem jeweiligen Dividendenstichtag Aktien deutscher Aktiengesellschaften als sog. Futures „cum (mit) Dividende“ erworben hatte, die ihm nach den üblichen Börsenusancen zeitverzögert erst nach dem Stichtag „ex (ohne) Dividende“ zivilrechtlich übereignet wurden (Gutschrift auf seinem inländischen Wertpapierdepot); zugleich erhielt er eine sog. Dividendenkompensationszahlung (in einem „Nettobetrag“ [rechnerisch der Dividendenanspruch nach Abzug der bei einer Ausschüttung anfallenden Abzugsteuer]). Der im zeitlichen Zusammenhang mit den Geschäften errichtete und finanziell gering ausgestattete Pensionsfonds (eine Rechtsperson mit einem Begünstigten) war dabei Teil eines mit mehreren Parteien eng aufeinander abgestimmten Kaufs- und kurzfristigen Verkaufsgeschehens mit Aktien im finanziellen Umfang von mehreren Milliarden Euro, wobei das Risiko der Realisierung der Erstattungsforderung wiederum vollen Umfangs auf einen von einer Bank aufgelegten luxemburgischen Anlegerfonds gegen das Versprechen einer Kurzfrist-Rendite von über 15 % übertragen worden war. Der Kläger machte geltend, der Erstattungsanspruch beziehe sich auf den Abzugsteuereinbehalt bei der Ausschüttung (ein das zivilrechtliche Eigentum des Anteilsinhabers verdrängendes wirtschaftliches Eigentum vor dem Dividendenstichtag sei durch das Erwerbsgeschäft begründet worden) bzw. folge unmittelbar aus dem Bezug einer „Nettodividende“.

Das Finanzgericht wies die Klage ab; ob es sich beim Aktien-Erwerb um eine „Leerverkaufssituation“ handelte (Erwerbsgeschäft mit einem „Noch-Nicht-Inhaber“ als Verkäufer) oder ein Erwerb vom Aktieninhaber vorlag, konnte nach der entscheidungstragenden Begründung des Urteils unaufgeklärt bleiben.

Der BFH hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Die Stellung als wirtschaftlicher Eigentümer einer Aktie könne nur einnehmen, wer den Aktieninhaber zugleich von den wesentlichen Rechten (Dividendenbezug, Stimmrecht) ausschließe („Alternativität“). Diese Position gegenüber dem Aktieninhaber könne allein durch eine rechtlich gesicherte Erwerbsaussicht und einen (wirtschaftlichen) Dividendenbezug nicht vermittelt werden (auch wenn frühere BFH-Rechtsprechung in diesem Sinne verstanden wurde), ebenfalls nicht durch Teilnahme an einer „Gesamtvertragskonzeption“, die geradezu ausschließe, dass diese Person die wesentlichen Rechte der Aktieninhaberschaft einnehmen und das finanzielle Risiko der Transaktionen tragen solle.

Das Urteil des BFH berücksichtigt spätere gesetzliche Änderungen nicht, da diese im Streitjahr noch nicht galten. Der Bundesgerichtshof hat für ähnlich gelagerte Strukturen (dort auf der Grundlage einer Feststellung, dass eine sog. Leerverkaufssituation vorlag) auf eine strafbare Steuerhinterziehung erkannt.

BFH, Pressemitteilung vom 15.03.2022 zu Urteil vom 02.02.2022, I R 22/20

Zivile Tätigkeit für die ISAF

Der für eine Tätigkeit als International Civilian Consultant bei der ISAF in Afghanistan gezahlte Arbeitslohn unterliegt der Einkommensteuer. Aus völkerrechtlichen Vereinbarungen ergibt sich kein Anspruch auf eine Steuerbefreiung. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden.

Der in Deutschland wohnhafte Kläger stand zunächst als Soldat im Dienst der Bundeswehr. Nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst war er in den Jahren 2012 und 2013 als International Civilian Consultant bei der ISAF (International Security Assistance Force/Internationale Sicherungsunterstützungstruppe) in Afghanistan tätig. Sein Gehalt für diese Tätigkeit zahlte die NATO. Der Kläger war der Auffassung, dass der Arbeitslohn in Deutschland nicht der Besteuerung unterliege. Dies folge aus internationalen Abkommen, die die NATO beziehungsweise die ISAF beträfen.

Das Finanzamt und auch das Finanzgericht gingen dagegen von der Steuerpflicht der gezahlten Bezüge aus. Der BFH bestätigte nunmehr diese Einschätzung. Da ein sogenanntes Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Afghanistan nicht existiert, konnte sich eine Steuerbefreiung nur aus internationalen Abkommen ergeben, die die Rechtsstellung der Mitglieder internationaler Organisationen betreffen. Allerdings erfassen die steuerrechtlichen Vorschriften dieser Abkommen die Tätigkeit des Klägers für die ISAF aus unterschiedlichen Gründen nicht. So sind die entsprechenden Regelungen des NATO-Truppenstatuts von vornherein beschränkt auf solche Tätigkeiten, die im Bündnisgebiet erbracht werden. Das sogenannte Ottawa-Abkommen gilt für bestimmte Gruppen von Beschäftigten der NATO-Organisationen. Es greift aber nur dann ein, wenn der Beschäftigte seinen Dienstort auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik hat. Auch die Abkommen, die steuerrechtliche Regelungen für die Vereinten Nationen und deren Sonderorganisationen, wie z.B. die UNESCO oder die WHO, enthalten, sind nicht einschlägig. Denn die ISAF ist zwar durch die Resolution 1386 (2001) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 20.12.2001 gemäß den Regelungen in Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen („Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffs-handlungen“) eingerichtet worden, sie selbst stellt aber keine derartige Sonderorganisation dar.

BFH, Pressemitteilung vom 10.3.2022 zu Urteil vom 13.10.2021, I R 43/19

Einkommensteuerliche Berücksichtigung von Zahlungen zur Wiederauffüllung einer Rentenanwartschaft

Leistet der Steuerpflichtige nach der Scheidung eine Zahlung, mit der er seine infolge des Versorgungsausgleichs geminderte Rentenanwartschaft wiederauffüllt, um den Zufluss seiner Alterseinkünfte in ungeschmälerter Höhe zu sichern, so handelt es sich ihrer Rechtsnatur nach um vorweggenommene Werbungskosten. Das hat der BFH entschieden.

Die Wiederauffüllungszahlung kann jedoch nur als Sonderausgabe abgezogen werden, wenn sie als Beitrag i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG anzusehen ist.

Unabhängig von der Verwendung des Beitragsbegriffs im Recht des jeweiligen Versorgungssystems ist bei der Frage, ob eine Zahlung in den Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG fällt, stets die einkommensteuerrechtliche Qualifizierung entscheidend.

Im Hinblick auf (spätere) Leibrenten und andere Leistungen, die von einer Einrichtung der Basisversorgung erbracht werden, unterscheidet das EStG ausschließlich zwischen der Ebene der Beiträge (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) und der Ebene der Leistungen (vgl. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG). Daher stellt jede im jeweiligen Versorgungssystem vorgesehene Geldleistung des Steuerpflichtigen, die an eine in § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG genannte Einrichtung für Zwecke der Basisversorgung erbracht wird, einen Beitrag im Sinne dieser Vorschrift dar.

BFH, Urteil vom 19.08.2021, X R 4/19

Steuerliche Entlastung für Vorsorgekosten bei steuerfreien EU-Auslandseinkünften

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in zwei Verfahren entschieden, dass Beiträge zur Altersvorsorge sowie zu einer Kranken- und Pflegeversicherung auch bei steuerfreien Gehältern und Renten aus dem EU-Ausland als Sonderausgaben absetzbar sind, wenn der Steuerpflichtige für die jeweilige Versicherung im Ausland keine steuerliche Entlastung erhält.

Im Verfahren X R 11/20 hatte ein in Deutschland lebender Rentner geklagt, der seinerzeit in Luxemburg als Arbeitnehmer beschäftigt gewesen war und seit seinem Ruhestand eine gesetzliche Altersrente aus Luxemburg bezieht, die dort besteuert wird. Nach luxemburgischem Einkommensteuerrecht sind zwar Renten- und Krankenversicherungsbeiträge absetzbar, nicht aber –anders als in Deutschland– Beiträge zur Pflegeversicherung. Den deshalb vom Kläger bei der Besteuerung seiner Inlandseinkünfte begehrten Sonderausgabenabzug für die Pflegeversicherung lehnte das Finanzamt ab, da die Beiträge im Zusammenhang mit im Inland steuerfreien Einnahmen stünden und § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG eine Berücksichtigung der Beiträge nicht erlaube. Die Klage hatte Erfolg. Der BFH bestätigte die Auffassung der Vorinstanz. Die Voraussetzungen der im Jahr 2018 eingeführten Ausnahmeregel vom Verbot des Abzugs von Vorsorgeaufwendungen bei steuerfreien Einnahmen insbesondere aus dem EU-Ausland (§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 EStG) lägen vor. So seien nicht nur –wie vom Gesetzeswortlaut vorgesehen– ausländische Löhne und Gehälter begünstigt, sondern zur Wahrung der Grundfreiheit auf Arbeitnehmerfreizügigkeit ebenso Renten eines vormals im EU-Ausland beschäftigten Arbeitnehmers. Soweit ein inländischer Sonderausgabenabzug auch davon abhängt, dass der (ehemalige) Beschäftigungsstaat –hier Luxemburg– „keinerlei steuerliche Berücksichtigung“ zulässt, verbietet sich nach Ansicht des BFH eine Zusammenfassung sämtlicher gezahlter Vorsorgeaufwendungen. Vielmehr sei die jeweilige Versicherungssparte für sich zu beurteilen.

In seiner weiteren Entscheidung im Verfahren X R 28/20 hat der BFH zudem klargestellt, dass Beiträge zu einer bestimmten Versicherungssparte, die bereits im Rahmen der Besteuerung im ausländischen Beschäftigungsstaat zum Abzug zugelassen sind, nicht nochmals in Deutschland steuermindernd berücksichtigt werden können. Ein solcher „double dip“ könne weder nach nationalem Recht noch nach Maßgabe unionsrechtlicher Grundfreiheiten eingefordert werden.

BFH, Pressemitteilung vom 03.03.2022 zu Urteilen vom 28.10.2021, X R 11/20 und X R 28/20

Leistungen im Zusammenhang mit betreutem Wohnen sind umsatzsteuerfrei

Der 15. Senat des Finanzgerichts Münster hat entschieden, dass Leistungen im Zusammenhang mit betreutem Wohnen umsatzsteuerfrei sind.

Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die eine Seniorenresidenz bestehend aus einem Pflegeheim und sieben Wohnungen des betreuten Wohnens betreibt. Die Wohnungen befinden sich im Gebäude des Pflegeheims. Mit den Bewohnern des betreuten Wohnens schloss die Klägerin Betreuungsverträge ab, die diverse Leistungen einer (erweiterten) Grundversorgung und Wahlleistungen einschließlich eines Notrufsystems umfassten. Die Leistungen wurden durch das im Pflegeheim eingesetzte Personal erbracht. Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass diese Umsätze teilweise steuerfrei seien, soweit die entsprechenden Leistungen eng mit der Pflege und Betreuung hilfsbedürftiger Personen zusammenhingen. Dem folgte das Finanzamt im Rahmen der Umsatzsteuerveranlagungen der Streitjahre nicht.

Der 15. Senat des Finanzgerichts Münster hat der Klage stattgegeben. Die gegenüber einzelnen Bewohnern erbrachten Umsätze des betreuten Wohnens seien im von der Klägerin beantragten Umfang gemäß § 4 Nr. 16 UStG steuerfrei. Nach dieser Vorschrift seien die eng mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen verbundenen Leistungen steuerfrei, die von juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder bestimmten Einrichtungen erbracht werden. Im Streitfall zählten die Bewohner des betreuten Wohnens zum Kreis der hilfsbedürftigen Personen im Sinne des § 4 Nr. 16 Satz 1 Hs. 1 UStG, weil sie an altersbedingten Einschränkungen der Alltagskompetenzen litten. Die von der Klägerin im Rahmen des betreuten Wohnens erbrachten Leistungen seien auch eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden. Die Klägerin biete den Bewohnern des betreuten Wohnens ein breites Angebot an Leistungen an, die zur ambulanten Pflege gehörten und der Altenhilfe im Sinne des § 71 SGB XII zuzurechnen seien. Hierzu gehörten verschiedene Betreuungsleistungen im Rahmen der ambulanten Pflege, aber auch die Bereitstellung eines Notrufdienstes und bedarfsweise die kurzfristige Übernahme pflegerischer Leistungen, die hauswirtschaftliche Versorgung, das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung und das Waschen der Kleidung. Auch soweit diese Leistungen auch der Befriedigung von Grundbedürfnissen dienten, seien diese spezifisch auf die Behebung altersspezifischer Einschränkungen gerichtet, weil auch diese Leistungen durch das im Pflegeheim eingesetzte und hierfür geschulte Personal erbracht würden.

Da die Leistungen der Klägerin im Zusammenhang mit dem betreuten Wohnen bereits nach § 4 Nr. 16 Satz 1 UStG steuerbefreit seien, brauchte der Senat nicht darüber zu entscheiden, ob die Vorschrift mit Unionsrecht unvereinbar ist und die Leistungen der Klägerin aus dem betreuten Wohnen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Mehrwertsteuersystemrichtlinie umsatzsteuerfrei wären.

FG Münster, Pressemitteilung vom 01.03.2022 zum Urteil 15 K 3554/18 vom 25.01.2022

Baden-Württemberg: Einstellung von Steuerstrafverfahren auch durch gemeinnützige Arbeit möglich

Steuerstrafverfahren können in Baden-Württemberg künftig bei geringer Schuld von den Straf- und Bußgeldstellen der Finanzämter auch eingestellt werden, wenn stattdessen gemeinnützige Arbeit geleistet wird. Bislang war das nur gegen Zahlung einer Geldauflage möglich. Das haben das Finanzministerium und das Justizministerium gemeinsam mit dem „Netzwerk Straffälligenhilfe“ auf den Weg gebracht. Die neue Regelung gilt ab dem 1. März 2022.

Finanzminister Dr. Bayaz: „Steuerstraftaten, wie Steuerhinterziehung, sind ein Betrug an der Allgemeinheit. Wer Steuern hinterzieht, muss deshalb mit einer Verurteilung rechnen. Das kann künftig in bestimmten Fällen durch gemeinnützige Ar­beit vermieden werden. Dadurch können Steuerhinterzieher der Gesellschaft auch etwas zurückgeben.“

Die baden-württembergischen Straf- und Bußgeldstellen stellen jährlich rund 2.000 Steuerstrafverfahren bei geringer Schuld ein. Das betrifft Fälle, bei denen Beschuldigten die Zahlung eines Geldbetrags auferlegt wird – und zwar unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Situation. Konnte die Geldauflage nicht gezahlt werden, drohten ein Verfahren und eine Verurteilung zu einer Geldstrafe. Wer diese nicht zahlen konnte, auch nicht in Raten, der musste in Haft.

Um ein Verfahren einzustellen, können die Straf- und Bußgeldstellen künftig entweder – wie bisher – eine Geldauflage oder alternativ dazu auch gemeinnützige Arbeit auferlegen. Dadurch können ein Verfahren und somit eine Verurteilung vermieden werden. Beim klassischen Strafrecht, beispielsweise bei Betrugs- oder Diebstahlsdelikten, wird dies bereits praktiziert. Nun wird das auch auf das Steuerstrafrecht übertragen.

Ministerium für Finanzen Baden-Württemberg, Pressemitteilung vom 1.3.2022

Keine Steuerermäßigung für statische Berechnungen eines Statikers

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat entschieden, dass eine Steuerermäßigung für die Leistung (hier: statische Berechnung) eines Statikers auch dann nicht gewährt werden kann, wenn diese für die Durchführung einer begünstigten Handwerkerleistung erforderlich war.

Für die Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen für Renovierungs-, Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen ermäßigt sich die tarifliche Einkommensteuer auf Antrag um 20% (§35a EStG). Im Streitfall wurde ein Handwerksbetrieb mit dem Austausch schadhafter Dachstützen beauftragt. Nach Einschätzung des Handwerksbetriebs war für die fachgerechte Ausführung dieser Arbeiten zunächst eine statische Berechnung erforderlich, die sodann auch von einem Statiker durchgeführt wurde. Neben der –insoweit unstreitigen– Steuerermäßigung für die Handwerkerleistung (Dachstützenaustausch) beantragten die Kläger diese auch für die Leistung des Statikers.

Dem folgte der BFH –anders als zuvor das Finanzgericht– nicht. Die Steuerermäßigung kann nicht gewährt werden, da ein Statiker grundsätzlich nicht handwerklich tätig ist. Er erbringt ausschließlich Leistungen im Bereich der Planung und rechnerischen Überprüfung von Bauwerken. Auch auf die Erforderlichkeit der statischen Berechnung für die Durchführung der Handwerkerleistungen kann die Steuerermäßigung nicht gestützt werden. Denn die Leistungen des Handwerkers und diejenige des Statikers sind für die Gewährung der Steuerermäßigung getrennt zu betrachten. Allein die sachliche Verzahnung beider Gewerke führt nicht zu einer Umqualifizierung der statischen Berechnung in eine Handwerksleistung.

BFH, Pressemitteilung vom 03.03.2022 zu Urteil vom 04.11.2021, VI R 29/19