In Mecklenburg-Vorpommern ging es 2017 los: Finanzämter schrieben Rentner an und ermunterten sie mit dem Slogan „Es geht auch ohne Steuererklärung“, an einer neuen Verfahrensform teilzunehmen – der sog. Amtsveranlagung. Hierfür reiche es aus, wenn sie eine Einverständniserklärung unterschrieben und bestätigten, dass sie nur Renteneinkünfte erzielten.
Jüngst vernahm der Deutsche Steuerberaterverband e.V. (DStV), dass sich inzwischen eine Facharbeitsgruppe von Bund und Ländern des Themas angenommen hat. Da eine Ausweitung des Verfahrens wahrscheinlich scheint, hat der DStV in seiner Stellungnahme S 04/19 rechtliche Problemstellungen dieser vereinfachten Amtsveranlagung aufgezeigt.
Aus Sicht des DStV ist es essentiell, dass sich ein neuartiges Verfahren – wie das Amtsveranlagungsverfahren für Rentner – in die bestehenden verfahrensrechtlichen Grundsätze der Abgabenordnung (AO) einbettet. Diese Grundsätze bilden ein über die Jahrzehnte gewachsenes und durch die Rechtsprechung mit Leben gefülltes, gut austariertes System. Dieses wirkt gleichermaßen zugunsten und zulasten der Steuerpflichtigen. Wird ein neues Verfahren eingeführt, bedarf es einer gründlichen Prüfung, wie ein für den Steuerpflichtigen faires Verfahren auch hier gesetzlich und untergesetzlich erhalten bleibt.
Einverständniserklärung als Steuererklärung?
Rentner sind nach § 25 Abs. 3 EStG i. V. m. § 56 EStDV zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet. Die Erstellung der hierfür erforderlichen amtlichen Vordrucke für die Einkommensbesteuerung obliegt dem Bundesministerium der Finanzen im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder (§ 51 Abs. 4 Nr. 1 EStG). Dem Vernehmen nach wurde die Einverständniserklärung seinerzeit aber gerade nicht in entsprechenden Abstimmungen von Bund und Ländern, sondern im Alleingang von Mecklenburg-Vorpommern konzipiert.
Die amtlichen Vordrucke spielen auch nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine wichtige Rolle. So entschied er, dass es für eine funktionierende Finanzverwaltung erforderlich sei, von allen Tatsachen Kenntnis zu erlangen, die aus Sicht der Finanzverwaltung entscheidungserheblich sind. Diese ergäben sich eben gerade aus den amtlichen Vordrucken. Dabei seien nicht nur die positiven Angaben sondern auch verneinende Angaben von Wert. Ferner könne das Finanzamt ohne Kenntnis der wesentlichen Besteuerungs- oder Vergütungsmerkale nicht in eine Überprüfung zugunsten der Steuerpflichtigen eintreten. Daher sei eine Abweichung von amtlichen Mustern nicht möglich (BFH, Urteil vom 13.04.1972, V R 16/69, BStBl II 1972 S. 725, Rn. 6). Wird kein amtlicher oder diesem entsprechender Vordruck verwendet, liegt keine gültige Steuererklärung vor (vgl. Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 150, Rn. 8).
In Summe sprechen daher gewichtige Gründe dafür, dass der Rentner mit der Einverständniserklärung keine Steuererklärung abgibt; demnach erfüllt er die ihn treffende Abgabepflicht nicht. Der DStV fordert, dass Rentner durch eine Amtsveranlagung in keinem Fall negative Folgen treffen dürfen, wie etwa Verspätungszuschläge.
Risiko des Verlusts von Rechtspositionen
Da eine Einverständniserklärung verfahrensrechtlich wohl keine Steuererklärung ersetzt, treten Verfahrensfragen auf, die zulasten der Steuerpflichtigen gehen. Insbesondere dürfte die Anwendung einiger Korrekturvorschriften erschwert sein.
So ist aus Sicht des DStV unklar, wie sich das Amtsveranlagungsverfahren etwa auf Änderungen eines Steuerbescheids gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel zugunsten des Steuerpflichtigen auswirkt. Der BFH entschied, dass einem Steuerpflichtigen regelmäßig grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden neuer Tatsachen anzulasten sei, wenn er eine unvollständige Steuererklärung abgegeben und eine ausdrücklich gestellte, auf einen bestimmten Vorgang bezogene und für ihn verständliche Frage nicht beantwortet hätte ( BFH, Urteil vom 16.05.2013, III R 12/12, BStBl II 2016 S. 512, Rn. 29 ). Es ist nicht geklärt, welcher Verschuldensmaßstab im Fall der Amtsveranlagung künftig gilt. Dies würden künftig Finanzgerichte entscheiden. Bis dahin trägt der Steuerpflichtige das Risiko, den Vorwurf des Verschuldens nicht entkräften zu können.
Auch bei Änderungen nach § 173a AO (Schreib- oder Rechenfehler bei Erstellung einer Steuererklärung) sowie nach § 175b AO (Änderung von Steuerbescheiden bei Datenübermittlung durch Dritte) könnte es zu Schwierigkeiten kommen. Diese Normen knüpfen ausdrücklich an Vorgänge bei der Erstellung einer Steuererklärung an.
Der DStV sieht im Rahmen der Korrekturnormen gesetzlichen Handlungsbedarf, um eine Benachteiligung der Rentner, die an einem Amtsveranlagungsverfahren teilnehmen, zu verhindern.
Hinreichende Aufklärung gefordert
Aus Sicht des DStV werden Steuerpflichtige im Vergleich zu sonst üblichen Einkommensteuerformularen nicht ausreichend nach steuerrelevanten Lebenssachverhalten befragt. Soweit Bund und Länder eine verkürzte Abfrage der steuerrelevanten Umstände für geboten halten, sollte deren Erläuterung zumindest zielgenau auf die Bedürfnisse der Rentner zugeschnitten werden.
Dass die Erläuterung in Mecklenburg-Vorpommern derzeit unzureichend ist, wird insbesondere anhand der Erklärung zu dem Feld „außergewöhnliche Belastungen“ deutlich. Rentner finden in dem Beiblatt lediglich folgenden Hinweis: „Außergewöhnliche Belastungen sind Ausgaben, die aufgrund besonderer Umstände zwangsläufig anfallen, z. B. die Ausgaben, die durch Krankheit, Behinderung oder Unwetterschäden entstehen.“
Dies ist aus Sicht des DStV angesichts der Komplexität des Steuerrechts und der dazu ergangenen Rechtsprechung eindeutig zu wenig. Zum Vergleich: Steuerpflichtige finden in der Anleitung zur Einkommensteuererklärung fast zwei Seiten Erläuterungen zu den „außergewöhnlichen Belastungen“ nebst Beispielen – etwa wann Bestattungs-, Krankheits- oder Pflegekosten angesetzt werden können. Dieses Informationsmissverhältnis zwischen Einverständniserklärung nebst Hinweisblatt sowie Broschüre und den traditionellen Anleitungen zur Steuererklärung ist nicht tragbar. Unvollständige Eintragungen werden dadurch geradezu provoziert.
Der DStV fordert, dass verkürzte Erklärungsformulare zumindest von ausführlichen, verständlichen und an der Zielgruppe orientierten Hinweisblättern begleitet werden. Angesichts der Komplexität des Steuerrechts wird nur so gewährleistet, dass ein Steuerpflichtiger vollständige Angaben vornehmen kann.
(DStV, Mitteilung vom 25.03.2019)